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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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näherte sich der Albaner dem Platz, wo das silberne Tafelgeschirr abgestellt<br />

wurde, und stahl einen großen Silberkrug, der über und über vergoldet war.<br />

Und als er sich aus dem Staub machen wollte, erhob der Mann, der das<br />

Geschirr zu betreuen hatte, ein gewaltiges Geschrei, so daß Tirant, der sich<br />

mit den Männern aus dem Flecken unterhielt, aufmerkte und fragte, was das<br />

für ein Lärm sei und wer da so schreie. Alle sahen den Albaner davonlaufen<br />

und viele, die ihm <strong>nach</strong>rannten; auch sahen sie, daß der Dieb festgenommen<br />

und vor die Hauptleute geschleppt wurde. Am Haarschopf schleifte ihn der<br />

für das Silber Verantwortliche her und sagte:<br />

»Herr, ich ersuche Euch, mir die Genugtuung verschaffen zu wollen, daß Ihr<br />

diesen auf frischer Tat ertappten Dieb, der mir diesen Silberkrug entwendet<br />

hat, <strong>zur</strong> Rechenschaft zieht und aburteilt.« Tirant wollte, daß der Emir als<br />

erster Stellung nehme. Dieser sagte: »Mein Urteilsspruch lautet: Er soll<br />

gehenkt werden.«<br />

Doch Tirant legte Widerspruch ein und sagte:<br />

»Herr Emir, jetzt ist nicht die Zeit, Leute zu töten, es sei denn auf dem<br />

Schlachtfeld. Ich bitte Euch, das Urteil abzumildern, daß man ihn<br />

auspeitscht, ihn mit Riemen rund ums Lager jagt und ihm die Ohren<br />

abschneidet.«<br />

So geschah es denn auch, in Gegenwart der Ritter aus dem Burgflecken, die<br />

sich da mit Tirant unterhielten; und <strong>nach</strong>dem man dem Albaner die Ohren<br />

gekappt hatte, band man ihm den Krug um den Hals und scheuchte ihn mit<br />

Geißelhieben rund ums Zeltlager. Als man den Sträfling zum dritten Mal im<br />

Kreis herumtrieb vor der Ortschaft, machte er plötzlich einen heftigen Ruck,<br />

riß die Fesseln von seinen Händen und rannte direkt auf den Flecken zu. Der<br />

Feldvogt, der ihm <strong>nach</strong>setzte, tat so, als ob er stolperte, und ließ sich zu<br />

Boden fallen, und so gewann der Albaner Zeit, in die Ortschaft zu entwischen,<br />

während die Mannen, die auf der Wehrmauer Wache hielten, ihm mit<br />

ihren Armbrüsten alle Verfolger vom Leibe hielten, so daß es keine Chance<br />

mehr gab, des Flüchtigen habhaft zu werden.<br />

Die Leute aus dem Flecken führten ihn hinauf <strong>zur</strong> Burg, wo der König war,<br />

und der sah ihn da vor sich stehen: splitternackt, mit Striemen am ganzen<br />

Leib, abgeschnittenen Ohren, blutüberströmt. Bei diesem Anblick überkam<br />

den König und seine neue Königin das helle Mit-<br />

leid, und sie ließen ihm ein Hemd und ein Gewand bringen, damit er sich<br />

bekleiden könne. Und so gerührt war der König, daß er dem bestraften Dieb<br />

sagte, er könne den Krug behalten.<br />

Tirant gebärdete sich derweil, als ob er sich über die Flucht des Albaners<br />

furchtbar ärgerte. Und zu den Rittern aus dem Marktflecken, die Zeugen des<br />

Vorfalls waren, sagte er, sie sollten den König ersuchen, ihm diesen Kerl<br />

auszuliefern; wenn dies nicht erfolge, so werde er sämtliche Königsmannen,<br />

die ihm künftig in die Hände fielen, töten lassen oder zumindest dafür sorgen,<br />

daß ihnen die Hände, die Füße und die Ohren samt der Nase abgeschnitten<br />

würden. Die Antwort des Königs besagte, daß er nicht daran dächte, ihm den<br />

Überläufer <strong>zur</strong>ückzugeben; und wenn Tirant den Krieg so grausam führe, wie<br />

angekündigt, so versichere er, Escariano, daß er, falls er Tirants habhaft würde,<br />

noch übler mit ihm verfahren werde, als dieser es mit dem Entlaufenen getan<br />

habe. Tirant legte keinen Wert auf einen weiteren Austausch von Botschaften,<br />

sondern brach auf und marschierte mit all seinen Leuten <strong>zur</strong>ück zu der Stadt,<br />

von der sie gekommen waren.<br />

Der Albaner aber bot dem König folgende Auskunft über sich selbst.<br />

KAPITEL CCCXIII<br />

Was der Albaner dem König Escariano erzählte<br />

ie nackte Hoffnungslosigkeit des bitteren Lebens, das ich<br />

tagtäglich zu ertragen habe, bringt mich allmählich zu der<br />

Meinung, ich sei der am meisten geplagte Mensch auf Erden. Ich<br />

habe daher keinen Grund, mich vor dem Tod zu fürchten; was<br />

ich mehr fürchte, das ist die schmerzliche Verwirrung, die<br />

entsetzliche Scham, die mich jählings überkommt, wenn ich bedenke, wie man<br />

mich verstümmelt hat; wie schändlich ich er- scheinen muß, jetzt, wo ich<br />

wichtige Teile meines Körpers verloren habe, mitsamt meiner Ehre, m<strong>einem</strong><br />

guten Ruf. Bei dem Gedanken, welch grausame Schmach man mir angetan<br />

hat, welche Schande<br />

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