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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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daß es fast einer Beleidigung des großen Erzählartisten gleichkommt;<br />

befremdlich wirkt in ihnen vor allem eine Tonart munkelnden<br />

Mißtrauens gegenüber allen Juden, Mauren und nicht reinbürtigen Christen –<br />

also Konvertiten –, deren Vermischung mit den zuvor Gepriesenen daran<br />

schuld sei, daß »der Sohn dem Vater nicht trauen wird«. Woher auf einmal<br />

dieser Mief? Warum dieses Geraune genereller Verdächtigung, das ganz und<br />

gar nicht zu der kämpferischen Klarheit des stets auf ritterliche Gerechtigkeit<br />

bedachten Glaubensverteidigers Tirant-Martorell paßt?. Hier verrät sich,<br />

meine ich, die gesellschaftliche Atmosphäre einer späteren Zeit, der<br />

lauernden Inquisition, die – wie ich dem Spindeler-Artikel der<br />

Enciclopedia Espasa entnehme – um das Jahr 1484 in Barcelona derart scharf<br />

einen jeden verfolgte, auf dessen Rechtgläubigkeit auch nur der Schatten<br />

eines Verdachts fiel, daß viele reiche Bürger aus Sorge um ihr Leben und ihre<br />

Habe die Stadt verließen. Der Zwickauer, schon von Berufs wegen ein<br />

Erzverdächtiger, habe um eben diese Zeit seine Druckerei verlegt, zunächst<br />

<strong>nach</strong> Tarragona und fünf Jahre später <strong>nach</strong> Valencia, wo es seine erste<br />

Aufgabe gewesen sei, Tirant lo Blanc zu drukken, <strong>nach</strong> der<br />

Satzvorlage, die »der hochmögende Ritter Mossèn Joan Martí de<br />

Galba auf Bitten der edlen Dame Dona Isabel de Lloris« zu Ende<br />

»übersetzt« habe, und zwar den »vierten Teil«. Die vielerlei Rätsel, die sich<br />

zusätzlich aus diesen Angaben des Impressums ergeben, wollen wir vorerst<br />

auf sich beruhen lassen. Wer will, mag darüber spekulieren, ob der fromme<br />

Galba, in dessen karger Bibliothek sich, laut Erbschaftsregister, fast nur<br />

Erbauungsbücher befanden, es 1489 für angebracht hielt, den von ihm<br />

letztendlich zu verantwortenden gewaltigen Text des vor mehr als zwei<br />

Jahrzehnten Verstorbenen wenigstens mit <strong>einem</strong> kleinen, lokalpatriotisch<br />

warnenden Hinweis auf den durch fremde Elemente gefährdeten<br />

altchristlichen Anstand zu versehen, oder ob der durch böse Erfahrungen<br />

gewitzte Drucker selbst, notgedrungen, eine minimale Vorbeugemaßnahme<br />

ersann: einen im Bedarfsfall vorzeigbaren Alibizettel <strong>nach</strong> dem<br />

Geschmack der herrschenden Kreise. Daß es sich bei dieser einzigen<br />

Erwähnung Valencias um einen <strong>nach</strong>träglichen Einschub handelt, scheint mir<br />

jedenfalls recht eindeutig aus dem nirgendwo sonst in dem Buch<br />

auftauchenden Prophetengestus der in<br />

eine düstere Zukunft vorausweisenden Futurumformen der Verben<br />

hervorzugehen. Da prophezeit einer, scheint mir, im <strong>nach</strong>hinein, also<br />

mit trügerischer Rückdatierung, hautnah erfahrene Ängste seiner eigenen<br />

Gegenwart, als deren Verlautbarer jener längst Verstummte herhalten<br />

muß, der 1454 zu einer Reise <strong>nach</strong> Neapel aufbrach.<br />

Zweckfrei? Zu einer Lustfahrt? Oder zu einer Erkundungsexkursion in noch<br />

nicht durchmessene Zonen der Wirklichkeit, um deren Totaldarstellung es<br />

ihm angeblich ging? Sechzehn Jahre zuvor hatte er doch schon einmal eine<br />

Auslandsreise unternommen, <strong>nach</strong> England, wo sich der etwa<br />

Fünfundzwanzigjährige dann rund ein Jahr aufhielt (<strong>nach</strong>weisbar<br />

mindestens vom März 1438 bis zum Februar 1439). Daß er sich dort mit<br />

wachen Augen umsah, muß demjenigen nicht bewiesen werden, der seinen<br />

sehr viel später geschriebenen Roman gelesen hat. Aber dieser Englandfahrer<br />

war kein Literat auf Stoffsuche, kein Bürger auf Bildungsreise, sondern ein<br />

junger Ritter, der hartnäckig darauf drang, das in die Tat umzusetzen, was die<br />

Gebote seines Standes – und das heißt: seiner Berufung – von ihm forderten.<br />

Er selbst hat den Zweck seiner damaligen Unternehmung in der ersten<br />

Folge seiner Fehdebriefe mit harter Klarheit benannt: Er, ein Mann aus dem<br />

mittleren Adel des Königreiches Valencia, Sohn einer hochangesehenen<br />

Familie (sein Großvater war Mitglied des Kronrates von Martin dem<br />

Menschlichen, sein Vater königlicher Kammerherr im Dienst desselben<br />

Herrn); er, der Bruder von sechs Geschwistern, Schwager von Ausias<br />

March (der heute als der größte aller Lyriker gilt, die in der Sprache<br />

Valencias, Kataloniens, der Balearen und des Roussillon gedichtet haben);<br />

er, stets kriegerisch gestimmt und streitbar, wie ihn sein kundiger<br />

Kommentator Riquer charakterisiert, war grimmig darauf versessen, die<br />

Entehrung seiner jüngsten Schwester zu rächen – durch einen Zweikampf<br />

auf Leben und Tod, zu dem er seinen Vetter Joan de Monpalau<br />

herausforderte, mit der Bezichtigung, daß dieser Damiata Martorell die Ehe<br />

versprochen, sie »mißbraucht« und da<strong>nach</strong> im Stich gelassen habe. Für den<br />

regelrechten Vollzug eines solchen Ehrenhandels war aber ein kompetenter,<br />

möglichst hochgestellter Schiedsrichter erforderlich, den Martorell im<br />

genannten Fall aus rechtlichen Gründen, die hier nicht zu erör-<br />

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