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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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Euch wahrheitsgemäß sagen, daß ich bei meiner Abendandacht einschlief.<br />

Und da kam es mir alsbald so vor, als wäre ich im Nachthemd und <strong>einem</strong><br />

kurzen, mit Zobelpelz gefütterten Obergewand von der Farbe grünen<br />

Samtes; und als wäre ich auf einer Dachterrasse, um die Gebete zu sprechen,<br />

die ich zu Ehren der drei Könige aus dem Morgenland üblicherweise<br />

verrichte. Da hörte ich eine Stimme, die mir sagte: ›Geh nicht weg, denn an<br />

diesem Platz wird dir die Gnade zuteil, die du erbittest.‹ Und es dauerte nicht<br />

lange, da sah ich meinen innigst geliebten Sohn herankommen, begleitet von<br />

vielen Rittern, allesamt weiß gekleidet, und er führte Hippolyt an der Hand.<br />

Und als sie zu mir gelangten, ergriffen die beiden meine Hände und küßten<br />

sie mir; und sie wollten mir die Füße küssen, doch das ließ ich nicht zu. Auf<br />

den Fliesen der Dachterrasse sitzend, führten wir lange, tröstliche<br />

Gespräche, die mir große Freude bereiteten; und so köstlich, so zutiefst<br />

erquickend war das, was wir da miteinander redeten, daß diese Worte nie aus<br />

m<strong>einem</strong> Herzen verschwinden werden. Da<strong>nach</strong> betraten wir, Hand in Hand,<br />

das Schlafgemach, und mein Sohn und ich legten uns ins Bett; und ich legte<br />

meinen Arm ausgestreckt unter seine Schultern, und sein Mund küßte meine<br />

Brüste. Noch nie habe ich einen so lieblichen Schlaf erlebt. Und mein Sohn<br />

sagte zu mir: ‘Herrin, da Ihr mich nicht mehr haben könnt auf dieser<br />

armseligen Welt, nehmt meinen Bruder Hippolyt als Sohn an, denn ich liebe<br />

ihn so sehr, wie ich Karmesina liebe.‹ Und als er das sagte, lag er dicht neben<br />

mir; und Hippolyt kniete gehorsam mitten im Zimmer. Und ich fragte<br />

meinen Sohn, wo er denn wohne; und er sagte mir, sein Platz sei im<br />

Paradies, bei den Rittern, die als Märtyrer starben, weil er im Kampf gegen<br />

die Ungläubigen gefallen sei. Mehr konnte ich ihn nicht fragen, weil Eliseu<br />

mich weckte, mit <strong>einem</strong> Schreckenston, der gräßlicher in den Ohren<br />

schmerzte als jedes Trompetengeschmetter.«<br />

»Habe ich’s euch nicht gesagt«, triumphierte der Kaiser, »daß alles, was sie<br />

redet, sich um nichts anderes als ihren Sohn dreht?« »Ach Herr«, sagte die<br />

Kaiserin, »niemanden hat dieser Verlust so schwer getroffen wie mich. In<br />

diesem Arm hielt ich ihn immer; sein reizender Mund berührte meine Brüste.<br />

Und die Träume, die man in der Morgenfrühe hat, erweisen sich oft als wahr.<br />

Ich denke, daß er wohl noch nicht ganz fortgegangen ist. Ich würde gern<br />

probieren, ob<br />

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er nicht, wenn ich wieder einschliefe, noch einmal mit mir spräche und ich<br />

noch einmal dieses Glücksgefühl erlebe, in dem ich mich befunden habe.«<br />

»Ich bitte Euch«, sagte der Kaiser, »laßt solche Narreteien sich nicht<br />

einnisten in Eurem Kopf. Steht jetzt auf, wenn Euch nicht mehr übel ist.<br />

Denn vor solchen Hirngespinsten, wie Ihr sie geschildert habt, muß man<br />

sich hüten. Je mehr man sich darein verstrickt, desto schneller ist man drin<br />

erstickt.«<br />

»Geruht, Herr, ich flehe Euch an«, sagte die Kaiserin, »mich meiner<br />

Gesundheit zuliebe und um der Freude willen, die ich zu erlangen hoffe,<br />

noch ein wenig ausruhen zu lassen, denn meine Augen sind ganz matt vor<br />

lauter Müdigkeit, <strong>nach</strong>dem ich kaum geschlafen habe.«<br />

»Herr«, meinten die Ärzte, »Eure Majestät kann unbesorgt gehen. Lassen<br />

wir sie ruhig schlafen; denn wenn wir ihr diese Annehmlichkeit verwehren,<br />

wäre es nicht weiter verwunderlich, wenn ihre Krankheit schlimmer würde,<br />

als sie derzeit ist.«<br />

Der Kaiser entfernte sich, und alle Zofen wurden aufgefordert, das Zimmer<br />

zu verlassen; nur Eliseu durfte bleiben.<br />

Sobald die Türflügel geschlossen waren, ließ die Kaiserin Hippolyt<br />

hereinholen, damit er wieder seinen Platz einnehme. Und zu der Zofe sagte<br />

sie:<br />

»Nachdem das Schicksal es so gefügt hat, daß du diese Affäre mitbekommen<br />

hast, gebiete ich dir, Hippolyt in allem behilflich zu sein, so gut du irgend<br />

kannst, mehr als mir selbst. Ziehe dich jetzt in die Hinterkammer <strong>zur</strong>ück und<br />

bleibe dort, bis wir ein Weilchen geschlafen haben. Künftig giltst du bei mir<br />

als meine Lieblingszofe, die ich höher schätze und mehr begünstige als alle<br />

anderen. Ich werde dir zu einer höheren Standesehe verhelfen, als ich je einer<br />

anderen verschafft habe. Dann wird Hippolyt dir so viel von seiner Habe als<br />

Mitgift stiften, daß du mit ihm mehr als zufrieden sein wirst.«<br />

»Gott versage mir seine Hilfe«, erwiderte Eliseu, »wenn ich von mir aus<br />

willens wäre, auch nur einen Finger für Hippolyt zu rühren, ihn gar zu lieben<br />

oder zu ehren. Doch um dem <strong>nach</strong>zukommen, was Eure Majestät mir<br />

befiehlt, werde ich es wohl oder übel tun. Andernfalls wäre ich nicht gewillt,<br />

mich zu bücken, um eine am Boden

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