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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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die Prinzessin laut auflachen, und die schlimmste Last der Schwermut war sie<br />

damit los.<br />

»Halt, wartet noch ein wenig, Herrin«, sagte Stephania. »Ich will Euch noch<br />

drei Artikel des Glaubensbekenntnisses mitteilen, die Eure Hoheit nicht<br />

kennt und von denen Ihr vielleicht noch nie ein Wort gehört habt. Unser<br />

wohlgeratenes weibliches Wesen ist, dank Gottes Schöpfergüte, so<br />

beschaffen, daß die Männer, wenn sie darüber Bescheid wüßten und sich an<br />

die naturgegebenen Regeln hielten, weniger Mühe aufwenden müßten, um die<br />

Mädchen soweit zu bringen, daß sie ihnen zu Willen sind. Wir alle haben<br />

nämlich drei fatale Eigenschaften. Meine eigenen Schwächen haben mich<br />

gelehrt, sie an den anderen zu erkennen. Die erste besteht darin, daß wir alle<br />

habgierig sind; die zweite, daß wir nimmersatte, naschsüchtige Lekkermäuler<br />

haben; die dritte, daß wir lüstern auf die Gelegenheit <strong>zur</strong> Unzucht lauern. Der<br />

erste Artikel meiner komplettierten Christenlehre ist demzufolge das Gebot,<br />

daß ein jeglicher Mann sich zuvörderst darum bemühen soll, zu erkennen,<br />

welcher der drei genannten Eigenschaften das von ihm geliebte<br />

Frauenzimmer am meisten zugetan ist. Neigt sie besonders <strong>zur</strong> Habgier, so<br />

wird sie, falls sie bereits die Geliebte eines anderen ist und Ihr sie reichlicher<br />

beschenkt als der andere, aus Habgier selbigen sausen lassen und sich Euch<br />

ergeben. Ihr bewirkt auf diese Weise also, daß sie aufhört, den zu lieben, den<br />

sie zuerst geliebt hat, und fürderhin Euch liebt. Wenn Ihr <strong>nach</strong> dieser<br />

Ablösung Euch an sie heranmacht, wird sie gewähren, was Ihr zu bieten habt,<br />

und all das Ihrige dazutun. Ist die Erwählte aber vornehmlich naschsüchtig,<br />

so schickt Ihr Präsentkörbe, gefüllt mit vielerlei Leckereien, frischgeernteten<br />

Früchten und sonstigen Köstlichkeiten, die ihrem Gaumen besonders<br />

behagen. Habt Ihr es hingegen auf eine abgesehen, die vor allem lüstern ist,<br />

so dürft Ihr beim Gespräch mit dieser Weibsperson von nichts anderem<br />

reden als jener Obliegenheit, der sie sich mit Feuereifer unterziehen möchte.<br />

Derartige weibliche Schwächen sind aber halb so schlimm, verglichen mit<br />

denen verheirateter Frauen. Wenn eine solche sich in einen Fremden vergafft<br />

und zum Seitensprung ansetzt, geht es ihr nie um die Freundschaft mit <strong>einem</strong><br />

Mann, der besser als ihr Gemahl oder ihm auch nur ebenbürtig wäre. Nein,<br />

unsereins läßt sich lieber<br />

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mit Leuten ein, die niedriger sind als die Männer unseres Standes, und<br />

betrügen uns so um unsere eigene Ehre und die Krone der Sittsamkeit. Jedes<br />

Mädchen trägt ja, wenn es aus dem Mutterleib ans Licht kommt, auf seiner<br />

Stirn das mit goldenen Lettern geschriebene Kennwort ›Keuschheit‹. Darum<br />

würde ich es niemandem sonst gegenüber wagen, derlei Dinge zu sagen.<br />

Doch ich klage in erster Linie mich selber an, nicht irgend sonstwen. Aber<br />

denkt nur an die Gräfin von Miravall, an den Ehebruch, den sie beging, und<br />

an die verdiente Strafe, die sie dafür empfing. Als ihr Gemahl vertrauensselig<br />

im gemeinsamen Bette schlief, ließ sie einen Edelmann in die Kammer ein,<br />

und keinen von den Besten, einen Kerl, in den sie sich vernarrt hatte. Der<br />

Graf erwachte und merkte, daß die Frau nicht an seiner Seite lag. Er richtete<br />

sich im Bett auf, horchte und hörte ein Geräusch in der Kammer. Hastig<br />

stand er auf, brüllte und griff <strong>nach</strong> <strong>einem</strong> Schwert, das er am Kopfende des<br />

Bettes hatte. Die Gräfin löschte das Licht. Der Sohn, der in <strong>einem</strong> kleinen<br />

Nebenraum schlief, sprang aus dem Bett, zündete eine Fackel an und betrat<br />

das väterliche Schlafgemach. Der eingedrungene Edelmann, der den Sohn mit<br />

dem Licht hereinkommen sah, schlug ihm mit dem Schwert auf den Kopf, so<br />

daß er tot zusammensank. Und der Graf tötete den Edelmann und die<br />

Gräfin; beide Frevler erhielten also den Lohn für ihre Übeltat.«<br />

Während die zwei Jungfrauen noch über diese Affäre sprachen, ließ die<br />

Kaiserin anfragen, wo denn die Prinzessin bleibe, schon seit Stunden habe<br />

sie ihre Tochter nicht mehr gesehen. Karmesina ging hinaus in den Saal, wo<br />

sie die Kaiserin antraf, die sofort fragte, weshalb ihre Augen so gerötet seien.<br />

»Herrin«, antwortete die Prinzessin, »schon den ganzen Tag habe ich heute<br />

Kopfweh.«<br />

Die Mutter zog ihre Tochter an sich, setzte sie auf ihren Schoß und küßte sie<br />

viele Male.<br />

Am nächsten Tag sagte Tirant zu Diafebus:<br />

»Lieber Vetter und Bruder, ich bitte Euch, geht zum Palast, knüpft ein<br />

Gespräch mit der Prinzessin an und versucht herauszubekommen, wie Ihre<br />

Hoheit die Sache mit dem Spiegelchen aufgenommen hat.«

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