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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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en Erfahrungen das Verlangen erwuchs, ein solches Werk zu schaffen, sind<br />

bis heute noch von niemandem ernstlich ins Auge gefaßt worden, obwohl<br />

das erste dieser beiden Daten in dem von Riquer initiierten elfbändigen<br />

Standardwerk der Història de la literatura catalana vermerkt ist und das<br />

zweite von Joanot Martorell höchstselbst im letzten Satz der Widmung<br />

seines Romans genannt wird.<br />

Das Archiv des Königreichs Valencia verwahrt in der Aktenmasse seiner<br />

zivilrechtlichen Abteilung auch zwei Blätter, auf denen eine<br />

Gerichtsverhandlung protokolliert ist, die am 21. Juni 1455 stattfand. In<br />

dieser Urkunde wird festgehalten, daß »Mossèn« (ein Titel, der ungefähr<br />

dem englischen Sir entspricht und kenntlich macht, daß der<br />

Angesprochene oder Gemeinte dem Ritterstand angehört) »Joanot Martorell<br />

und Mossèn Galceran Martorell derzeit nicht im Königreich Valencia<br />

weilen«; beide seien <strong>nach</strong> Neapel gereist, als der edle Lluís Cornell sich<br />

dorthin begeben habe. Und die dokumentierte Aussage eines Zeugen<br />

präzisiert diese Feststellung mit der Erklärung, »schon ein Jahr oder noch<br />

länger« sei es her, daß Joanot Martorell Valencia verlassen habe.<br />

Was war der Anlaß dieses Aufbruchs? Vargas Llosa, der die Vermutung<br />

äußerte, daß »Martorell von all den Ländern, in denen sein Roman<br />

spielt, wahrscheinlich nur England kannte«, hat sich – obwohl die<br />

genannte Riquer’sche Literaturgeschichte, der wir die (von Cerveró<br />

entdeckten) Aktenzitate entnehmen, bereits 1964 erschien – diese Frage<br />

offensichtlich nie gestellt, wohl weil ihm das aus dem Aktenstaub ans Licht<br />

gekommene biographische Detail als nichtssagende Belanglosigkeit erschien.<br />

Kein Wunder, denn auch Riquer selbst, in dessen Darstellung er diese<br />

Auskünfte zweifellos gelesen hat, scheint weder durch die Nennung des<br />

Martorellschen Reiseziels noch durch den leicht zu errechnenden Zeitpunkt<br />

des Aufbruchs zu irgendwelchen Überlegungen angeregt worden zu sein.<br />

Was er aus den Fakten folgert, ist bloß der logische Schluß: »Unser<br />

Schriftsteller ging also im Jahre 1454 <strong>nach</strong> Neapel, wo er mindestens ein<br />

langes Jahr verweilte.« Und gleich darauf zitiert er das Dokument der Erbteilung,<br />

das zwar klar zu erkennen gibt, in welchem Jahr der Dichter verstarb,<br />

aber mit k<strong>einem</strong> Wort die Umstände und den Ort seines Todes erwähnt.<br />

Daraus schließe ich, daß dem Kompetentesten un-<br />

ter den heutigen Kennern des Tirant-Verfassers keinerlei weitere Auskünfte<br />

über dessen Leben in der Zeitspanne zwischen dem Abschied aus der<br />

Heimat, anno 1454, und dem Todesjahr, 1468, bekannt sind. Und das<br />

bedeutet doch wohl, daß wir nicht einmal wissen, wo das heute<br />

unstreitig berühmteste Werk der katalanischen Literatur geschrieben<br />

wurde. (Eine Frage, der anscheinend auch noch niemand <strong>nach</strong>gegangen<br />

ist.) An wen das Buch gerichtet ist, geht aus der Widmung hervor: nicht nur<br />

an den portugiesischen Prinzen Ferrando, sondern »auch« an seine eigenen<br />

Landsleute, weshalb Martorell, wie man dort liest, das Unterfangen gewagt<br />

habe, es nicht nur aus der englischen Sprache in die portugiesische zu »übersetzen«,<br />

sondern auch noch aus dem Portugiesischen »in die valencianische<br />

Umgangssprache zu bringen, damit die Leute meines Heimatlandes sich<br />

ergötzen und höchlich erbauen mögen an all den großartigen Taten, die darin<br />

zu lesen sind«. Ist das aus der Ferne oder aus <strong>nach</strong>barlicher Nähe<br />

gesprochen? Nichts weist darauf hin, daß es für den, der 1454 <strong>nach</strong> Neapel<br />

segelte, jemals eine Heimkehr gab. Und die Region seiner Herkunft spielt<br />

in der Handlung seines Romans keinerlei Rolle. Nicht einmal eine Seite<br />

füllen, im Kapitel CCCXXX, die Zeilen, wo zum ersten und letzten Mal von<br />

Valencia die Rede ist – lobend, im Gedanken an das dortige Klima, die<br />

Fruchtbarkeit der Gärten, den einzigartigen Reichtum an Handelswaren,<br />

den hervorragenden Mut der vielen dort ansässigen Ritter, den Liebreiz der<br />

Frauen dieser Stadt – die »sehr weiblich« seien, »nicht besonders schön, aber<br />

voll wohltuender Anmut, attraktiver als alle übrigen Frauen der Welt; denn<br />

mit dem reizenden Gebaren und der schönen Beredsamkeit, die ihnen<br />

eigen sind, nehmen sie die Männer gefangen« –, worauf allerdingss<br />

sogleich ein dunkles Unheilsorakel folgt, die Ankündigung eines<br />

allgemeinen Verfalls wegen der zunehmenden Bosheit unter den<br />

Einwohnern, an der die Vermengung von vielerlei Völkerschaften schuld sei,<br />

die dort stattfinden werde.<br />

Ein Grund zum Bruch mit der eigenen Herkunft ist in diesen vermischten<br />

Anspielungen wohl schwerlich auszumachen. Daß ich die Authentizität<br />

dieser Randbemerkungen ohnehin bezweifle, sei nicht verschwiegen. Sie<br />

scheinen mir nicht nur deshalb höchst dubios, weil sie derart ungeschickt<br />

in den Handlungsablauf eingeflickt sind,<br />

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