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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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Als es beinahe Zeit für die Vesper war, hellte sich der Himmel auf, und die<br />

Sonne kam zum Vorschein. Da sagte die Infantin:<br />

»Wäre es nicht schön, wenn wir einen Rundgang durch die Stadt machten,<br />

jetzt, wo der Himmel wieder heiter ist?«<br />

Philipp antwortete prompt:<br />

»Wie, Herrin, bei so unsicherem Wetter wollt Ihr durch die Stadt spazieren?<br />

Wenn es noch einmal platscht, werdet Ihr klatschnaß.« Tirant jedoch, der die<br />

hinterhältige Absicht der Infantin durchschaute, zupfte Philipp an <strong>einem</strong><br />

Zipfel seines Gewandes, um ihn zum Schweigen zu bringen. Die Infantin<br />

bemerkte diesen geheimen Wink Tirants, sie ergrimmte, und höchst<br />

verdrossen befahl sie, man solle die Rosse bringen; auch alle Gäste ließen ihre<br />

Pferde holen. Als die Tiere bereitstanden, nahm Philipp den Arm der Infantin<br />

und führte sie zu der Steinbank, die zum Aufsteigen diente. Und als die<br />

Infantin aufgesessen war, drehte sie Philipp halb den Rücken zu, kehrte sich<br />

aber nur soweit von ihm ab, daß sie ihn nicht aus dem Blick verlor, sondern<br />

schräg aus dem Augenwinkel weiterhin beobachten konnte. Philipp sagte zu<br />

Tirant:<br />

»Hättet Ihr mir doch ein anderes Gewand bringen lassen, damit das da nicht<br />

verdorben wird!«<br />

»Ach«, sagte Tirant, »soll es doch vor die Hunde gehen! Kümmert Euch nicht<br />

drum. Wenn das da hin ist, kriegt Ihr leicht ein neues.« »Schaut wenigstens«,<br />

sagte Philipp, »ob nicht zwei Pagen da sind, die mir die Schleppe tragen,<br />

damit sie nicht im Dreck schleift.« »Ihr seid mir ein schöner Königssohn!«<br />

erwiderte Tirant. »Wie könnt Ihr Euch nur so kleinlich und knauserig<br />

gehaben! Beeilt Euch lieber, denn die Infantin wartet auf Euch.«<br />

Da ritt Philipp schweren Herzens los; die Infantin jedoch hatte unablässig<br />

mit gespitzten Ohren gelauscht, um alles aufzuschnappen, was sie<br />

miteinander redeten. Aber sie hatte nicht verstehen können, worum es bei<br />

ihrem Wortwechsel ging.<br />

So ritten sie spazieren durch die Stadt, wobei es der Infantin ein inniges<br />

Vemügen bereitete, mit ansehen zu können, wie das Prunkgewand des<br />

armseligen Philipp in den Pfützen badete und er wieder und wieder <strong>nach</strong><br />

s<strong>einem</strong> Brokatsaum schaute. Um den Spaß, den sie daran hatte, noch zu<br />

steigern, sagte sie, man solle die Beizfalken<br />

bringen und dann ein bißchen hinaus ins Freie reiten, um ein Rebhuhn zu<br />

jagen.<br />

»Seht Ihr denn nicht, Herrin«, sagte Philipp, »daß das nicht das rechte Wetter<br />

für einen Jagdausflug ist? Die Landschaft ist eine einzige Schlammlache.«<br />

»Weh mir!« sagte die Infantin zu sich. »Dieser Tolpatsch ist noch nicht<br />

einmal imstand, mir zulieb für einen Augenblick fünfe grad sein zu lassen.«<br />

Aber rücksichslos bestand sie auf ihrem Willen und ritt durchs Stadttor<br />

hinaus aufs freie Feld, wo sie einen Bauern traf. Den nahm sie beiseite und<br />

fragte ihn, ob es in der Nähe irgendein Flüßlein oder einen<br />

Bewässerungsgraben gebe. Und der Bauer antwortete:<br />

»Hohe Frau, nicht weit von hier, wenn Ihr immer gradaus reitet, findet Ihr<br />

einen breiten Kanal, der soviel Wasser führt, daß es <strong>einem</strong> Maulesel bis an<br />

den Bauchgurt geht.«<br />

»Das ist genau das Gewässer, das ich suche.«<br />

Die Infantin setzte sich an die Spitze des Zuges, und alle anderen folgten ihr.<br />

Als sie dann am Rand des Wasserlaufs waren, ritt die Infantin hindurch,<br />

während Philipp zögernd <strong>zur</strong>ückblieb und an Tirant die Frage richtete, ob<br />

nicht irgendwelche Burschen daseien, die seinen Gewandsaum in die Höhe<br />

halten könnten.<br />

»Ich habe genug von solchem Gerede«, sagte Tirant, »und von Eurem<br />

unwürdigen Verhalten. Das Gewand kann nicht schlimmer versaut werden,<br />

als es jetzt schon ist. Macht Euch deswegen keine Gedanken mehr; ich gebe<br />

Euch meines. Die Infantin ist mitten hindurchgetrabt und reitet Euch davon.<br />

Sputet Euch, daß Ihr sie noch einholt.«<br />

Tirant brach <strong>nach</strong> diesen Worten in schallendes Gelächter aus, um den<br />

Eindruck zu erwecken, als ob Philipp und er sich über etwas Spaßhaftes<br />

unterhalten hätten. Als dann auch sie das Wasser passiert hatten, fragte die<br />

Infantin Tirant, worüber er gelacht habe.<br />

»Meiner Treu, Herrin«, sagte Tirant, »ich mußte über eine Frage lachen, mit<br />

der Philipp mir schon den ganzen Tag in den Ohren liegt. Er bedrängte mich<br />

damit, bevor wir das Gemach Eurer Hoheit verließen, <strong>nach</strong>dem wir<br />

aufgesessen waren und jetzt, als wir ins Wasser gingen, wieder. Er will von<br />

mir wissen, was für eine Sache die Liebe<br />

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