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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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geschlafen hat, ist nie etwas passiert. Aber kaum schläft er einmal anderswo,<br />

dann ist, wie ihr seht, im Palast der Teufel los.« Hippolyt sagte:<br />

»Solange ihr euch rüstet, gehe ich rasch hinüber zum Palasttor, um zu hören,<br />

was los ist.«<br />

»Lauft schnell!« sagten die anderen.<br />

Kaum hatte Hippolyt das Quartier verlassen, da lief ihm der Vicomte<br />

hinterher.<br />

»Herr«, sagte Hippolyt, »geht Ihr doch, bitte, zum Hauptportal. Dann gehe<br />

ich <strong>zur</strong> Gartenpforte. Und wer von uns zuerst eine klare Auskunft erhält,<br />

was der Krakeel bedeutet, der soll den anderen aufsuchen und ihm Bescheid<br />

sagen.«<br />

Der Vicomte war damit einverstanden. Als Hippolyt an die Gartenpforte<br />

gelangte, die er verschlossen anzutreffen meinte, hielt er inne und horchte.<br />

Da hörte er, daß jemand stöhnte, mit schmerzverzerrter Stimme. Es schien<br />

ihm, als wäre es die Stimme einer Frau; und er sagte zu sich:<br />

»Oh, viel lieber wäre mir’s, ich hörte die Stimme Tirants, statt des Seufzens<br />

von dieser Jungfrau, wer immer sie auch sein mag.«<br />

Er überlegte und schaute, ob er irgendwo über die Mauer klettern könnte.<br />

Da er jedoch keine geeignete Stelle entdeckte, kehrte er um und lief zum<br />

Portal, mit erleichtertem Herzen, da er dachte, der ganze Spektakel sei durch<br />

irgendein Mädchenlamento ausgelöst worden.<br />

»Weine, wer da will«, sagte Hippolyt, »ob Frau oder Jungfrau. Sie soll ihren<br />

Jammer ruhig ausweinen. Ein Glück, daß es nicht mein Herr Tirant ist.«<br />

Er ging weg und begab sich zum Platz, wo er den Vicomte und andere<br />

Mannen traf, die wissen wollten, was der Anlaß für diesen Aufruhr gewesen<br />

war. Aber die Schreie verebbten schon ein wenig, und der Wirrwarr schien<br />

sich zu klären. Da berichtete Hippolyt dem Vicomte, daß er an der Pforte<br />

zum Garten gewesen sei, in den er nicht habe hineinklettern können. Er<br />

habe aber dort ein Jammern gehört, das Stöhnen einer Stimme, die so<br />

geklungen habe, als wäre sie die Stimme einer Frau; er wisse freilich nicht,<br />

wer diese sei. Er vermute aber, daß wegen dieser Frau das ganze<br />

Tohuwabohu entstanden sei. »Um Gottes willen, schnell hin!« sagte der<br />

Vicomte. »Wenn es eine<br />

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Frau oder Jungfrau ist, die Hilfe braucht, dann müssen wir sie leisten, falls<br />

dies irgend möglich ist. Die Regeln der Ritterschaft verpflichten uns dazu.«<br />

Sie eilten <strong>zur</strong> Gartenpforte und hörten die kläglichen Jammerlaute, die aus dem<br />

Garten kamen; aber sie konnten die gestammelten Worte nicht verstehen,<br />

erkannten auch die Stimme nicht. Denn der furchtbare Schmerz, den Tirant<br />

erlitt, hatte seine Stimme völlig verändert.<br />

Der Vicomte sagte:<br />

»Laßt uns das Pförtlein umlegen! Es ist Nacht, und niemand wird erfahren, daß<br />

wir es getan haben.«<br />

Die Pforte war aber unverschlossen; dafür hatte Wonnemeineslebens in der<br />

Dunkelheit gesorgt, damit Tirant notfalls ohne Schwierigkeiten entwischen<br />

könne; dabei hatte sie freilich nicht damit gerechnet, daß dies soviel Unheil <strong>zur</strong><br />

Folge haben würde. Beide Ritter rannten miteinander gegen die Pforte,<br />

rammten sie mit der Schulter so wuchtig, wie sie konnten, und alsbald sprang<br />

das Gatter auf. Der Vicomte ging als erster hinein und tappte durch den<br />

dunklen Garten, immer der Richtung folgend, aus der die Stimme kam, die er<br />

hörte und die ihm sehr seltsam vorkam.<br />

Der Vicomte sagte:<br />

»Wer du auch sein magst, ich bitte dich, um Himmels willen, sag mir, ob du die<br />

Seele eines Verblichenen bist und büßend umherirrst oder ein sterblicher<br />

Menschenleib, der Hilfe braucht.«<br />

Und Tirant, der dachte, jetzt kämen Häscher des Kaisers, verstellte, um nicht<br />

erkannt zu werden und um die vermeintlichen Verfolger zu verscheuchen,<br />

seine Stimme – obwohl diese ja durch die Qualen, die er zu erdulden hatte,<br />

schon hinreichend verfremdet war – und sagte: »Ich war zu meinen Zeiten ein<br />

getaufter Christ, und meiner Sünden wegen durchleide ich jetzt eine<br />

entsetzliche Pein. Ich bin ein unsichtbarer Geist, auch wenn Ihr mich leibhaftig<br />

seht; bin ein Irrgeist, der zeitweilig wieder Gestalt annehmen muß. Die<br />

Dämonen, die hier ihr Unwesen treiben, zerhacken mir mein Gebein und mein<br />

Fleisch und werfen es stückweise durch die Luft. Oh, wie grausam ist die Pein,<br />

die ich durchmachen muß! Und wenn Ihr hierherkommt, werdet Ihr teilhaben<br />

an m<strong>einem</strong> Schmerz.«

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