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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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Knie brach; sie durchstieß ihm die Armschiene und die Harnischplatten; und<br />

die eiserne Lanzenspitze drang ein Stück weit in seine Brust. Tirant war so<br />

tief in Trauer um seine gefallenen Leute versunken gewesen, dachte mit<br />

solcher Inbrunst an die Prinzessin, daß er tatsächlich das Herankommen des<br />

Königs nicht im mindesten wahrnahm, bevor dieser ihn verwundet hatte.<br />

Erst dann zog er das Schwert, denn die Lanze war gleich zu Beginn der<br />

Schlacht gebrochen. Und auf der Stelle kämpften die beiden eine gute Weile.<br />

Der König focht wacker, aber <strong>nach</strong> langem Schlagwechsel holte Tirant zu<br />

<strong>einem</strong> gewaltigen Hieb aus, der zwar den König verfehlte, weil das Pferd sich<br />

plötzlich drehte, aber den Kopf des Tieres traf und diesen glatt durchschlug,<br />

so daß König und Roß zu Boden stürzten. Die Mannen des Königs eilten<br />

rasch herzu, um ihm beizustehen; und obwohl Tirant es zu verhindern<br />

suchte, halfen sie ihrem Herrscher auf und hoben ihn, sehr zum Verdruß des<br />

Bretonen, auf ein neues Pferd.<br />

Als Tirant sah, daß der König ihm unweigerlich entwischte, warf er sich auf<br />

einen Mohren, rang mit ihm und entriß ihm die Lanze, die er in Händen<br />

hatte. Damit ging er auf den erstbesten Gegner los, auf den zweiten, den<br />

dritten und streckte sie alle nieder; da<strong>nach</strong> griff er den vierten, fünften,<br />

sechsten an, und als Meister der Kriegskunst, der er war, hob er sie der Reihe<br />

<strong>nach</strong> aus dem Sattel. Und als die Lanze schließlich brach, griff er <strong>nach</strong> der<br />

kleinen Streitaxt und gab <strong>einem</strong> Moslem einen so gewaltigen Hieb auf den<br />

Kopf, daß dieser gespalten wurde, vom Scheitel bis <strong>zur</strong> Brust.<br />

Die Muslime, die sahen, auf wieviel Waffengänge da ein einzelner Mann sich<br />

einließ und wieviel Gegner er in den Tod schickte, staunten bestürzt und<br />

sagten:<br />

»O Mohammed! Wer ist denn dieser Christ, der unser ganzes Heerlager<br />

zuschanden macht? Wehe dem, der einen Hieb von seiner Hand zu erwarten<br />

hat!«<br />

Der Herr von Agramunt, der sich auf der Burg befand und an <strong>einem</strong> der<br />

Fenster Ausschau hielt, erkannte am Wappenrock, daß es Tirant war, der<br />

dort mutterseelenallein kämpfte. Lauthals schrie er: »Ihr Herren, schnell, helft<br />

schleunigst unserem Kapitan! Sein Leben steht auf dem Spiel!«<br />

Da verzog sich der König, samt den wenigen Leuten, die er noch bei<br />

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sich hatte. Doch die Hilfe für Tirant kam diesmal reichlich spät. An drei Stellen<br />

seines Körpers war er verwundet worden, und sein Pferd hatte eine erkleckliche<br />

Anzahl von Lanzenstichen erlitten. Es war also unumgänglich, daß Tirant sich<br />

<strong>zur</strong>ückzog, ganz gegen seinen Willen, aber doch in beschleunigter Gangart, so<br />

schnell er konnte, denn die Feinde setzten ihm <strong>nach</strong> bis zu den Toren der Stadt.<br />

Und anhaltend wurden die Christen in jenen Tagen vom Pech verfolgt; denn<br />

sämtliche Schlachten, die sie damals schlugen, verloren sie, die Mauren aber<br />

triumphierten. Und es verdroß die Christen sehr, daß die Muslime das<br />

Mißgeschick ihrer Feinde bejubelten. Und Tirant sagte: »Sie haben allen Grund,<br />

hohnlachend über uns die Nase zu rümpfen: denn sie haben uns in die Flucht<br />

geschlagen und hinter die Stadtmauer gescheucht. Und nichts ist mir so zuwider<br />

wie die Tatsache, daß ich nicht tot bin, gefallen an der Seite starker, standhafter<br />

Ritter. Ich habe überlebt, traurig, trostlos; denn da war keiner, der es fertiggebracht<br />

hätte, mir beizuspringen. Und deshalb will ich es aller Welt bekunden,<br />

daß ich nicht in der Verfassung bin, noch lange weiterzuleben, meine Feinde<br />

ständig vor Augen.<br />

Angesichts der tiefen Schwermut, die Tirant überkommen hatte, fühlte sich<br />

König Escariano gedrängt, ihn zu ermuntern mit den folgenden Worten.<br />

KAPITEL CCCXXXVIII<br />

Wie König Escariano versuchte, Tirant zu ermutigen<br />

er menschliche Verstand ist begrenzt, selbst bei den klügsten<br />

Köpfen. Deshalb muß man es sich ein für allemal klarmachen, daß<br />

keiner Bescheid weiß über das, was künftig geschehen wird;<br />

niemandem außer Gott ist die Zukunft offenbar. Und es gilt als<br />

Zeichen der Kleinmütigkeit, wenn man, noch ehe ein konkreter<br />

Grund vorhanden ist, aus bloßer Sorge vor kommenden Übeln, schon im<br />

voraus zu klagen beginnt. Du weißt es ja besser als ich: In den Kriegen passiert<br />

es nicht selten, daß

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