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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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Bruder Abel erschlug? Entpuppt Ihr Euch vielleicht als jener kecke Sohn des<br />

Königs von Zypern, der mit seiner Mutter ins Bett ging und seinen Vater<br />

von der Schloßmauer in den Graben stürzte? Oder solltet Ihr etwa Macareus<br />

sein, der sich an seiner Schwester Kanake vergriff, sie gewaltsam entjungferte<br />

und daraufhin zu den Römern überlief, um der feindlichen Soldateska für<br />

schnödes Geld seinen angestammten Herrn und dessen ganzes Heer ans<br />

Messer zu liefern? 0 Tirant! Öffnet die Augen, denn wir alle sind hellwach<br />

und werden in schonungsloser Klarheit erkennen, wer Ihr seid. Auch Eure<br />

seltsame Vorgeschichte werden wir entlarven; die schändlichen Vergehen,<br />

derentwegen Ihr Euer Vaterland verlassen habt, in das Ihr nie wieder<br />

heimzukehren wagt, weil es die Spatzen von den Dächern pfeifen, daß Ihr<br />

mit unseren Erzfeinden gemeinsame Sache macht. Statt uns diese<br />

Ungläubigen vom Hals zu halten, wie es Eure angeborene Christenpflicht<br />

wäre, habt Ihr Euch mit ihnen verbündet zu <strong>einem</strong> abgekarteten Spiel gegen<br />

uns. Erinnert Ihr Euch nicht mehr an den Satz, den Ihr in Eurem Brief an<br />

den König von Ägypten geschrieben habt? ›Wer sich weigert, auf Gottes<br />

Wort zu bauen, hat keinen Glauben und weckt kein Vertrauen.‹ Wie also<br />

könnten wir Euch noch über den Weg trauen, <strong>nach</strong>dem Ihr so schnöde<br />

Eurem Glauben untreu geworden seid und derart hinterhältig gegen uns<br />

handelt – gegen uns, die wir doch alle Euch so herzlich aufgenommen<br />

haben, als wärt Ihr ein Bruder; gegen uns, die wir allesamt Eurem Befehl<br />

unterstanden. Jetzt freilich, <strong>nach</strong>dem ruchbar geworden ist, welch<br />

widerwärtige Schandtat Ihr begangen habt, welch verräterische<br />

Machenschaften von Euch ausgeheckt und eingefädelt worden sind, mit<br />

denen Ihr das Leben von uns allen und das ganze Griechische Reich<br />

hinterrücks zu erledigen gedenkt – jetzt wäre es nur recht und billig, Euch in<br />

siedendes Öl zu tauchen. Das wäre der einzig angemessene Lohn für Eure<br />

gottverdammte Person; denn ich kenne keinen anderen Menschen in der<br />

Christenheit, der jemals etwas getan hätte, das derart abscheulich gewesen<br />

wäre wie der Schurkenstreich, den Ihr geplant habt. Selbst die fühllosen<br />

Steine müßten gegen Euch aufstehen, und um wieviel mehr empört Euer<br />

Treiben alle Menschen, die das Herz auf dem rechten Fleck haben und so<br />

wie wir in schlichter Hingabe, ohne jede Klügelei, dem Glau-<br />

604<br />

ben anhangen, daß die Heilslehre des Christentums uns das Paradies und die<br />

ewige Seligkeit erlangen läßt, während die spitzfindig tüftelnden Rabulisten<br />

sich mit ihrem feinsinnigen Gefasel in Zweifel verstricken und hoffnungslos<br />

dem Höllenfeuer verfallen, wie dies Euch eines Tages widerfährt. Nach<br />

Meinung der Leute muß das endlich einmal offen gesagt werden. Von Rechts<br />

wegen und <strong>nach</strong> den Geboten der Vernunft dürftet Ihr nämlich das Amt<br />

eines Generalkapitans überhaupt nicht ausüben, solange ich und alle Leute,<br />

die in m<strong>einem</strong> Dienst stehen, dies nicht ausdrücklich billigen. Und deshalb<br />

sage ich hiermit klipp und klar, daß ich es ablehne, künftighin Eure Befehle<br />

zu befolgen.«<br />

Diese Worte des Herzogs erregten augenblicklich einen gewaltigen Aufruhr.<br />

Rasch wappnete sich ein jeder, und kampfbereit, die Waffen in den Händen,<br />

verharrte der große Haufe, während manche sich schon auf ihre Pferde<br />

schwangen, als gälte es, sogleich eine Schlacht zu schlagen; denn nicht wenige<br />

empfanden den Kitzel einer Lust, die zu den Urlastern des<br />

Menschengeschlechts gehört: einen Umsturz der Herrschaftsverhältnisse<br />

erleben zu wollen.<br />

Tirant, tief gekränkt durch die irrwitzigen Schimpfreden des Herzogs, trat ihm<br />

entgegen mit den folgenden Worten.<br />

KAPITEL CLIV<br />

Was Tirant dem Herzog von Makedonien<br />

erwiderte<br />

enn Ihr glaubt, die Leute würden sich nicht mehr an Eure<br />

Schändlichkeiten erinnern, weil inzwischen viel Zeit darüber<br />

hingegangen ist, und man würde Euch schon wieder für einen<br />

amtswürdigen Ehrenmann halten, ob- wohl Ihr nichts getan habt,<br />

das als Buße für Euer übles Verhalten gelten könnte, so täuscht Ihr<br />

Euch. Ich will es Euch ersparen, die Schilderung auch nur eines Teils Eurer<br />

glorreichen Heldentaten anzuhören; denn es ist mir zuwider, deren<br />

Abscheulichkeit mir vorzu-

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