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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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»Meiner Treu, Herr«, antwortete Diafebus, »ich kann Euch fürwahr keine Zahl<br />

nennen; aber ich kann Eurer Majestät versichern, daß die Landstraße von hier<br />

bis <strong>zur</strong> Stadt San Giorgio unpassierbar ist, so massenhaft liegen da lauter tote<br />

Türkenleiber; man tut gut daran, Distanz zu halten von diesem Weg, eine<br />

Meile entfernt zu bleiben, wenn man ungehindert vorankommen will. Über<br />

unsere eigenen Verluste, Herr, kann ich Euch freilich genaue Auskunft geben,<br />

da der Kapitan alle Christenleichen einsammeln ließ, um sie anständig zu<br />

bestatten. Der erste Tote, den wir gefunden haben, war der Herzog von<br />

Makedonien, hingestreckt durch eine Lanze, die seinen ganzen Leib<br />

durchbohrt hatte. Ebenfalls auf dem Schlachtfeld geblieben waren der<br />

Markgraf von Ferrara, der Herzog von Babylonien, der Markgraf von Vasto<br />

und der Graf Plegamans. Außer diesen fürstlichen Herren, die gefallen waren,<br />

gab es noch viele andere Ritter, die ihr Leben gelassen hatten; und unter diesen<br />

befand sich auch der Großkonnetabel, dessen Tod von allen tief betrauert<br />

worden ist, weil er ein wahrhaft vortrefflicher, redlicher und überaus tapferer<br />

Ritter war. Als man die Namen auf der Totenliste zählte, ergab es sich, daß wir<br />

eintausendzweihundertvierunddreißig Mann eingebüßt hatten. Und der<br />

Kapitan hat dafür gesorgt, daß ein jeder von ihnen ein höchst ehrenvolles<br />

Begräbnis erhielt – selbst der Herzog von Makedonien, der dies nicht verdient<br />

hätte; denn auf Grund der Aussagen, die Hippolyt und der Herr von<br />

Agramunt als Augenzeugen gemacht haben, steht eindeutig fest, daß er<br />

derjenige war, der unserem Kapitan die Wunde beigebracht hat, die an s<strong>einem</strong><br />

Hals zu sehen ist. Aber Tirant ist so gütig und besitzt eine solch<br />

unerschütterliche Seelenstärke, daß er stets <strong>zur</strong> Vergebung bereit ist und mit<br />

k<strong>einem</strong> bösen Wort die Übeltaten vergilt, die man ihm antut, so schlimm die<br />

Folgen fremder Vergehen für ihn auch sein mögen.«<br />

Der Kaiser war höchst zufrieden mit allem, was er da vernahm, und er<br />

überlegte vergeblich, auf welche Weise er all die Ehre, die er Tirant zu<br />

verdanken hatte, angemessen belohnen könnte. Diafebus aber gab sich den<br />

Anschein, als wäre ihm nicht wohl, um als Kranker auf der Burg bleiben zu<br />

dürfen. Und der Herrscher ließ ihn mit solch liebevoller Aufmerksamkeit<br />

umsorgen, als ginge es um das Wohl seiner eigenen Tochter.<br />

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Auch die Barone aus Sizilien verharrten auf dringlichen Wunsch des Kaisers<br />

noch eine Weile an Ort und Stelle; denn Seine Majestät hatte die Absicht, den<br />

Generalkapitan herbeirufen zu lassen, um gemeinsam mit ihm die Verteilung<br />

der Kriegsbeute vorzunehmen. Unverzüglich wurden also zwei Ritter zu<br />

Tirant gesandt, die ihm mitteilen sollten, daß dem Herrscher daran gelegen<br />

sei, im Einverständnis mit ihm die Gefangenen und alle im Feindeslager<br />

liegengebliebenen Schätze zu verteilen. Doch der Bretone ließ ausrichten, daß<br />

er dort, wo Seine Majestät persönlich weile, nichts zu bestimmen habe; denn<br />

in Gegenwart des Höhergestellten höre die Befugnis des Geringeren auf.<br />

Zugleich schickte er ihm sämtliche Gefangenen sowie alle Kostbarkeiten, die<br />

den Kämpen in die Hände gefallen waren. Und der Kaiser bedachte jeden<br />

Streiter seines Heeres mit <strong>einem</strong> Anteil am Gewinn.<br />

Tirant hatte sich mittlerweile so gut erholt, daß er es, trotz seinen Wunden,<br />

nicht versäumte, mit wachen Augen für die Sicherheit der Stadt und des<br />

Zeltlagers zu sorgen, das man vor den Mauern aufgeschlagen hatte, weil es<br />

unmöglich war, eine solche Menge Kriegsvolk innerhalb der Ortschaft<br />

unterzubringen. Der Sultan aber samt allen, die mit ihm entflohen waren,<br />

verschanzte sich in der Stadt Bellpuig, die von San Giorgio aus, wo Tirant sich<br />

befand, rasch zu erreichen war, über einen Weg, der vier Meilen meerwärts<br />

hinabführte, bis zum dortigen Hafen. An diesem Zufluchtsort fühlte sich der<br />

Sultan wohlgeborgen. Mehr als fünfzehn Tage schon hatte er das Zimmer, in<br />

dem er eine Bleibe gefunden, nicht ein einziges Mal verlassen, tief versunken in<br />

seinen Kummer, unablässig die erlittene Schlappe und den Tod des<br />

kappadokischen Königs bejammernd. Vom Ende des ägyptischen Königs<br />

jedoch wußte man dort nichts, und mit sehnsüchtiger Ungeduld warteten die<br />

Sarazenen darauf, etwas über sein Schicksal zu erfahren. Eines Tages nun sagte<br />

der Zypriot von Paterno zu s<strong>einem</strong> Gebieter:<br />

»Herr, wäre es Eurer Hoheit recht, wenn ich einmal hinüberginge? Falls es mir<br />

möglich ist, mit m<strong>einem</strong> Freund dort zu reden, kann ich alles erfahren, was es<br />

zu erfahren gibt.«<br />

Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, drängte ihn da der Sultan,<br />

ungeachtet der vielen Leute, die in der Nähe waren:

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