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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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der vor Alter fast ganz weiß geworden war, die Decke abzogen, entdeckten<br />

sie an s<strong>einem</strong> Hals eine Kette aus purem Gold. Maßlos erstaunt starrten sie<br />

auf ihren Fund, und sie meldeten den Vorfall dem Hofmarschall. Schleunigst<br />

eilte dieser herbei, nahm die Halskette in die Hand und brachte sie dem<br />

König. Dieser fand großen Gefallen daran, und als man das Fundstück<br />

genauer betrachtete, gewahrte man, daß Schriftzeichen in die Kette eingeritzt<br />

waren, die besagten, daß Julius Caesar, als er Britannien eroberte und es mit<br />

Deutschen und Basken besiedelte› auf dem Feldzug diesen Hirsch<br />

eingefangen habe. Er habe, so war weiter zu lesen, den Befehl erteilt, diesem<br />

Tier das Fell am Hals aufzuschlitzen, ihm eine Kette umzulegen, das Fell<br />

darüberzuziehen, wieder zusammenzunähen und dann den Hirsch laufen zu<br />

lassen. Den König aber, der diese Kette dereinst finde, bitte er, Julius Caesar,<br />

sie zum Kennzeichen zu machen. Es waren also, wie sich errechnen läßt, seit<br />

dem Tag, da man dem Tier diese Kette umgelegt hatte,<br />

vierhundertzweiundneunzig Jahre vergangen – was viele zu der Entgegnung<br />

veranlassen wird, daß es kein Tier auf der Welt gebe, das so lange lebe. Die<br />

ganze Kette aber bestand aus lauter S-Kringeln, und dies deshalb, weil Ihr im<br />

gesamten ABC nicht einen einzigen Buchstaben finden werdet, der<br />

bedeutsamer, sinnträchtiger und von schönerer Form wäre; keinen, der<br />

höhere Dinge bezeichnen könnte als dieser Buchstabe S.«<br />

288<br />

KAPITEL XCVII<br />

Die Bedeutung des Kennzeichens<br />

n erster Linie bedeutet dieses Signum die Seligkeit eines<br />

frommen Herzens, die Sanftmut des Weisen, die Souveränität des<br />

Erhabenen, der über sich selbst und über andere zu herrschen<br />

weiß. Außerdem weist es noch auf eine ganze Reihe anderer<br />

wertvoller Wörter hin, die mit S beginnen. Und derartige S-Ketten<br />

schenkte der großmütige König der Bruderschaft. Etwas später hat er vielen<br />

anderen, ausländischen und einhei-<br />

mischen Rittern, manchen Damen und Jungfrauen sowie zahlreichen<br />

Edelleuten silberne Nachbildungen der von dem Hirsch überlieferten<br />

Kette verliehen. Auch mir, Herr, hat er eine gegeben; und jedem dieser<br />

Ritter, die hier im Kreis um Euch sitzen, hat er eine um den Hals gehängt.«<br />

»Tief erfreut hat mich alles, was Ihr mir auf so feine Weise erzählt habt«,<br />

sagte der Einsiedler. »Der Hosenbandorden gefällt mir sehr, denn er beruht<br />

auf tugendhaften Grundsätzen der Ritterlichkeit. Noch nie habe ich eine<br />

Bruderschaft von solch hoher Würde kennengelernt, weder durch<br />

Augenschein noch auch nur vom Hörensagen. Sie entspricht ganz und gar<br />

meinen Wünschen, und mein Geist fühlt sich erquickt durch diese<br />

Nachricht. Sagt mir, tüchtiger Ritter –ist es nicht höchst erstaunlich, eine<br />

solche Kette im Besitz eines wild im Wald lebenden Tieres zu finden, und<br />

das <strong>nach</strong> so langer, langer Zeit? Wahrlich staunenswert, wie alles, was Ihr<br />

mir erzählt habt, von den Festlichkeiten wie von den Waffentaten. So viele<br />

Jahre ich auch schon auf dieser elenden Erde zugebracht habe – noch nie<br />

habe ich vernommen, daß eine Hochzeitsfeier solch herrliche, großartige<br />

Wirkungen zeitigte.«<br />

Diese und ähnliche Sätze äußerte der Einsiedler, als Tirant herbeikam und<br />

sagte:<br />

»Ehrwürdiger Vater, Euer Gnaden würden mir eine große Gunst erweisen,<br />

wenn Ihr zu der klaren Quelle kommen wolltet, um dort mit uns eine<br />

kleine Stärkung einzunehmen. Und seid so gütig, uns zu gestatten, daß wir<br />

hier noch vier oder fünf Tage verweilen, um noch ein wenig die<br />

Gesellschaft eines so frommen Mannes zu genießen.«<br />

Der Einsiedler war gern damit einverstanden, und sie blieben noch mehr<br />

als zehn Tage bei ihm. Das Gespräch während dieser Tage kreiste um viele<br />

treffliche Waffentaten und mancherlei gute Ratschläge, die der Einsiedler<br />

ihnen gab.<br />

Als die Zeit des Abschieds nahte, ließ Tirant, der beobachtet hatte, daß der<br />

Vater Einsiedel nichts als Kräuter aß und bloß Wasser trank, von Liebe<br />

und Fürsorge bewogen, Nahrungsmittel und alles andere, was ein Mensch<br />

braucht, um leben zu können, in solcher Menge herbeischaffen, daß man<br />

hätte meinen können, er habe für die Vor-

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