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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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136<br />

KAPITEL XXXVI<br />

Wie ein pflichtvergessener Ritter all seiner Würden entledigt wird<br />

as ist die Sturmhaube dieses Treulosen, der den Geist des<br />

segensreichen Ritterordens verleugnet hat.‹ Wenn das verlautbart<br />

ist, muß heißes Wasser <strong>zur</strong> Hand sein, in<br />

<strong>einem</strong> Becken aus Gold oder Silber. Dann rufen die Herolde: ›Wie<br />

heißt dieser Ritter?‹ Worauf die Gehilfen derselben antworten, Herr<br />

So-und-so von Da-und-da sei sein Name. Die Wappenkönige aber entgegnen:<br />

›Falsch! Von Herr kann nicht die Rede sein!<br />

Wer als Ritter sich so übel verhält und so wenig die Gebote des<br />

Ordens achtet, ist wohl eher ein gemeiner Kerl.‹ Die Geistlichen<br />

sagen: ›Geben wir ihm einen Namen, der zu ihm paßt!‹ Die Trompeter rufen:<br />

›Wie soll er heißen?‹ Der König erklärt: ›Mit Schimpf<br />

und Schande sei er verbannt! Man werfe ihn hinaus aus all unseren<br />

Fürstentümern und Landen, diesen ruchlosen Ritter, der dem erhabenen Orden<br />

der Ritterschaft die Achtung versagen wollte!‹ Nach-<br />

dem diese Worte des Königs gesprochen sind, schütten die Herolde<br />

und Wappenkönige dem Übeltäter heißes Wasser ins Gesicht, wo-<br />

bei sie ihm sagen: ›Von jetzt an sollst du mit d<strong>einem</strong> wahren Namen<br />

benannt sein: Verräter!‹ Daraufhin legt der König Trauergewänder<br />

an, und assistiert von zwölf anderen Rittern in bodenlangen schwarzen Mänteln<br />

und mit dunkelblauen Kappen auf dem Kopf, bekundet<br />

er anschaulich seinen tiefen Schmerz. Während dem Frevler Stück<br />

um Stück die Rüstung vollends abgenommen wird, schüttet man<br />

ihm <strong>nach</strong> jedem einzelnen Entwaffnungsakt einen Schwapp heißen<br />

Wassers über den Kopf. Ist er dann ganz und gar seiner Rüstung<br />

beraubt, wird er nicht länger auf dem Schaugerüst geduldet. Er darf<br />

es aber nicht über die Treppe verlassen, die er hinaufgestiegen ist, als<br />

er noch Ritter war. Gefesselt mit <strong>einem</strong> Strick, wird der bis aufs<br />

Hemd Entblößte hinabgestoßen, in den Schmutz. Da<strong>nach</strong> wird er<br />

unter vielen Beschimpfungen <strong>zur</strong> Kirche Sankt Georgs geschleppt,<br />

und dort, vor dem Altar, wirft man ihn auf den Boden und spricht<br />

über ihm den Psalm der Verfluchung. Umringt vom König und den<br />

zwölf Rittern, die gleichnishaft den Kreis Jesu Christi und der zwölf<br />

Apostel darstellen, bekommt er sein Todesurteil oder die Verhän-<br />

gung einer lebenslänglichen Kerkerstrafe zu hören, während vielerlei<br />

Schmähungen auf ihn niedergehen. Daraus kannst du ersehen, Sohn, was für<br />

eine ernste Sache die Aufnahme in den Ritterorden ist. Es gäbe noch einiges zu<br />

sagen über die Pflichten, die du damit auf dich nimmst. Das Gelübde<br />

verpflichtet dich zum Beispiel, Kinder, Witwen, Waisen und verheiratete Frauen<br />

in Schutz zu nehmen, wenn irgend jemand ihnen Gewalt antun oder sie ihrer<br />

Habe berauben will. Für die Ritter besteht das strikte Gebot, aller Gefahr zum<br />

Trotz ihr Leben aufs Spiel zu setzen, wenn eine ehrbare Frau sie um Beistand<br />

und Hilfe bittet. Und ein jeder Ritter schwört am Tage seines Eintritts in den<br />

Orden, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um alle vom Unrecht Bedrohten<br />

zu verteidigen. Darum, mein Sohn, ist es eine mühevolle und zermürbende<br />

Aufgabe, Ritter zu sein. Vielfältig und schwierig sind die Pflichten, die ein<br />

solcher hat; und der Ritter, der ihnen nicht <strong>nach</strong>kommt, verdammt sich selbst<br />

<strong>zur</strong> Höllenpein. Man hat es gewiß leichter, wenn man ein stilles, gewöhnliches<br />

Leben führt, ohne sich die Last einer solchen Verpflichtung aufzuerlegen. Noch<br />

habe ich dir ja nicht geschildert, was erforderlich ist, wenn man ein<br />

vollkommener Ritter werden will; denn was Vollkommenheit ist, läßt sich nicht<br />

zweifelsfrei bestimmen und wird ewig umstritten bleiben.«<br />

Tirant, der darauf brannte, alles zu erfahren, was zu <strong>einem</strong> Ritter gehört, gab<br />

sich noch nicht zufrieden und setzte zu neuen Fragen an.<br />

KAPITEL XXXVII<br />

Wie Tirant den Einsiedler bat, ihm zu sagen, in<br />

welchem Zeitalter es die besten Ritter gab<br />

alls meine Worte Euch nicht verdrießen, ehrwürdiger Vater, wäre<br />

ich Euch sehr dankbar, wenn Euer Gnaden mir sagen würden, ob<br />

es zu Beginn des Ritterordens, also <strong>zur</strong> Zeit seiner Gründung,<br />

schon so tapfere, alles überragende Ritter gab wie in späteren<br />

Epochen.«

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