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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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nicht <strong>zur</strong> Unterkunft Tirants, sondern suchte den Laden eines Händlers auf,<br />

der Bartolomeu Espicnarda hieß, ließ sich dort ein Stück grünen Brokats<br />

bringen, gab den Auftrag, ihm daraus ein Staatsgewand anzufertigen, das mit<br />

Zobel gefüttert und gesäumt sein sollte; die dazugehörigen Strümpfe aber<br />

sollten bestickt werden, gemäß den Wünschen der Zofe.<br />

Nachdem er all dies geordert hatte, entschwand er unauffällig aus der Stadt,<br />

unter dem Vorwand, er wolle in Bellestar <strong>nach</strong> seinen Pferden sehen. Dort<br />

angelangt, ließ er Tirant mitteilen, er befinde sich noch immer am selben<br />

Ort, denn er habe sich in den letzten zehn Tagen nicht wohl gefühlt und sei<br />

deshalb außerstande gewesen, sich an den Hof zu begeben. Und der Bote,<br />

den er beauftragt hatte, trug diesen Bericht so überzeugend vor, daß Tirant<br />

und alle anderen ihm Glauben schenkten.<br />

Sobald Hippolyt erfuhr, daß seine Kleider fertig seien, kehrte er Bellestar den<br />

Rücken und ritt auf <strong>einem</strong> flinken Roß <strong>zur</strong> Stadt. Dort warf er sich das<br />

Brokatgewand über und zog die bestickten Beinkleider an, die höchst reizvoll<br />

gestaltet waren und mit den darauf dargestellten Weinblättern und Trauben<br />

wahrhaft prächtig aussahen.<br />

Die Kaiserin und die Prinzessin machten <strong>zur</strong> selben Zeit einen Besuch bei<br />

Tirant. Und als der <strong>zur</strong>ückkehrende Hippolyt in den Hof der Einsiedelei<br />

hereinritt und all die Damen an den Fenstern erblickte, gab er s<strong>einem</strong> Pferd<br />

die Sporen und ließ es galoppierend sich mehrmals in engem Kreise drehen.<br />

Schließlich stieg er ab, ging hinauf zu den Wohnräumen und erwies der<br />

Kaiserin sowie allen anderen Damen seine Reverenz, vergaß jedoch auch<br />

nicht, seinen Meister Tirant zu begrüßen und sich <strong>nach</strong> dessen Befinden zu<br />

erkundigen. Tirant gab die Auskunft, daß er sich recht wohl fühle und seit<br />

zwei Tagen zu Fuß in die Kirche gehe, um die Messe zu hören.<br />

Unbeschreiblich war die Freude, welche die Kaiserin beim Anblick Hippolyts<br />

empfand. Und sie sagte zu ihm: »Mein Sohn, ich möchte mehr über dein<br />

Leben erfahren, möchte gern wissen, ob du an dem Morgen, als ich im<br />

Schlaf jenen lieblichen Traum erlebte, mit m<strong>einem</strong> Erstgeborenen<br />

beisammen warst.«<br />

Und als sie diese Worte sprach, konnte sie die Tränen nicht <strong>zur</strong>ückhalten.<br />

Tirant und die anderen gingen auf sie zu, um sie zu trösten. Im<br />

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selben Augenblick betrat der Kaiser das Zimmer, gefolgt von vielen Rittern;<br />

und als er sah, in welchem Zustand sie sich befand, sagte er: »Na, Herrin, ist<br />

das der Trost, mit dem Ihr unseren Kapitan aufzumuntern gedenkt? Mir<br />

scheint, es wäre vernünftiger, ihn mit anderem Zeitvertreib zu ergötzen,<br />

nicht mit Tränen.«<br />

»Herr«, erwiderte die Kaiserin, »dieser Schmerz tief innen, der meinen Leib<br />

zerfrißt, bedrängt ständig meinen geschundenen Geist, und mein Herz<br />

weint unablässig blutige Tränen. Jetzt, wo ich Hippolyt erblickt habe, hat<br />

sich mein Schmerz verdoppelt, durch die Erinnerung an jenen lieblichen<br />

Morgen, an dem Eure Majestät mit den Ärzten kam und ihr mich<br />

herausrisset aus der Seligkeit, die ich damals erschaute. Bei solchem<br />

Schmerz wünschte ich mir, mein Leben würde enden; denn es gibt keinen<br />

besseren Tod auf der Welt als den, in den Armen desjenigen zu sterben, den<br />

man mag und liebt. Und weil ich den, welchen ich so sehr geliebt habe, nun<br />

nicht mehr haben kann ...« Sie ergriff die Hand Hippolyts und fuhr fort: »...<br />

soll der da seine Stelle einnehmen. Ich nehme dich als meinen Sohn an.<br />

Nimm du mich denn als deine Mutter. Es gibt nichts, was in meiner Macht<br />

steht, das ich für dich nicht täte. Aus Liebe zu dem, den ich mehr als alle<br />

anderen und über alle Maßen liebte, will ich dich lieben, denn du bist es<br />

wert.«<br />

Alle dachten, sie rede von ihrem toten Sohn, doch sie meinte Hippolyt. Und<br />

<strong>nach</strong>dem sie noch einmal ihre ganze Traumgeschichte erzählt hatte, wie sie<br />

oben schon ausführlich geschildert worden ist, entfernte sich der Kaiser<br />

samt allen Damen. Die Kaiserin aber erlaubte es k<strong>einem</strong>, ihren Arm zu<br />

nehmen, k<strong>einem</strong> außer Hippolyt.<br />

Fürs erste wollen wir nun ein Weilchen außer acht lassen, was die Kaiserin<br />

weiterhin unternahm, um Hippolyt ständig zu umschmeicheln; wieviel sie<br />

ihm als Stiftungen vermachte, in Gegenwart des Kaisers und vieler anderer<br />

Personen; und wie wenig sie bereit war, an irgend<strong>einem</strong> Mittag- oder<br />

Abendessen teilzunehmen, wenn der junge Mann nicht neben ihr säße.<br />

Wenden wir uns wieder Tirant und dem Fortgang seiner Liebesmühen zu;<br />

denn er versäumte keine Gelegenheit, mündlich um die Gunst der<br />

Prinzessin zu werben, oder auch mit Briefen, die er ihr sandte, ohne je den<br />

Beistand von Wonnemeineslebens zu vergessen.

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