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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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fertigt worden war; und genauso gekleidet wie der Neger, trat Wonnemeineslebens<br />

nun durch die Gartenpforte herein. Als Tirant diese Gestalt<br />

erblickte, dachte er, es sei wirklich jener schwarze Gärtner, der mit einer<br />

Hacke über der Schulter daherkam und sich anschickte, den Boden<br />

aufzuhacken. Schon <strong>nach</strong> kurzer Zeit näherte sich der Neger der Prinzessin,<br />

setzte sich an ihre Seite, nahm ihre Hände und küßte sie ihr. Dann legte er<br />

seine Hände auf ihre Brüste, befühlte die Kuppen und bekundete<br />

drängendes Liebesverlangen. Die Prinzessin aber brach in schallendes<br />

Gelächter aus, und vor lauter Lachen verflog all ihre Müdigkeit. Daraufhin<br />

wurde er noch zudringlicher und schob seine Hände unter ihre Röcke, zum<br />

Gaudium aller, die sich an den köstlichen Witzworten erlabten, welche<br />

Wonnemeineslebens dabei von sich gab. Die Witwe hingegen wandte ihr<br />

Gesicht in die Richtung, wo Tirant war, rang die Hände und spie auf den<br />

Boden, zum Zeichen ihres großen Widerwillens und der Herzensqual, die<br />

das Verhalten der Prinzessin ihr bereite.<br />

Stellt Euch vor, wie dem armen, unglücklichen Tirant zumute sein mußte,<br />

der am Tag zuvor so stolzgeschwellt war, so strahlend vor Zuversicht, weil<br />

es ihm geglückt war, eine Dame von solch erhabener Würde als Verlobte zu<br />

erlangen, das zu gewinnen, was er am meisten ersehnt hatte auf der Welt –<br />

wie ihm jetzt zumute sein mußte, jetzt, <strong>nach</strong>dem er mit eigenen Augen sein<br />

Elend gesehen, seinen Jammer, seine schmerzende Schmach. Als der<br />

Entsetzte ins Grübeln versank, überkam ihn ein Zweifel, und er fragte sich,<br />

ob die Spiegel ihm das, was er gesehen, nicht bloß vorgegaukelt hätten. Er<br />

zerschlug die Spiegel, um sich zu vergewissern, ob in ihnen nicht irgendeine<br />

Tücke stecke, ein trügerischer Trick, bewirkt durch die Höllenkünste<br />

schwarzer Magie; doch er entdeckte nichts, was diesen Argwohn bestätigt<br />

hätte. Und er wollte hinaufsteigen zu dem Fenster, um zu sehen, ob es da<br />

noch mehr zu beobachten gäbe; um zu erfahren, welch ein Ende dieses<br />

Treiben nehmen würde. Da er jedoch feststellte, daß keine Leiter da war –<br />

denn die Witwe hatte sie in ihrer Vorsicht beiseite geschafft –, griff Tirant,<br />

der kein anderes Hilfsmittel entdecken konnte, <strong>nach</strong> der Bank, die vor dem<br />

Bett stand, und richtete sie in ihrer ganzen Länge senkrecht auf; dann nahm<br />

er eine Kordel, die er vom Bettvorhang abschnitt, schlang sie mit <strong>einem</strong><br />

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Schleuderwurf um einen Querbalken, kletterte an dem Strick hinauf und<br />

gewahrte, wie der schwarze Gärtner eben die Prinzessin an der Hand nahm<br />

und in einen Schuppen führte, den es im Garten gab, einen Stadel, in dem er<br />

die Gerätschaften verwahrte, die er für die Pflege des Gartens brauchte, und<br />

worin er auch seine Schlafstatt hatte. Wonnemeineslebens brachte<br />

Karmesina in diese Koje; dort durchstöberten die beiden eine Truhe, in<br />

welcher der Neger seine Kleider verstaut hatte, und musterten auch<br />

sämtliche anderen Habseligkeiten des Afrikaners. Nach einer kleinen Weile<br />

kam die Prinzessin heraus. Als die Witwe, die mit der anderen Zofe vor der<br />

Hütte hin und her bummelte, Karmesina auftauchen sah, beugte sie sich<br />

flüsternd zu der Zofe hinüber, reichte ihr ein Kopftuch und sagte, um die<br />

Farce zu steigern und das Gelächter auf die Spitze zu treiben:<br />

»Stopf dieses Läppchen unter den Rock der Prinzessin.« Die Zofe tat, wie<br />

die Witwe ihr geheißen, und als sie sich vor Ihrer kaiserlichen Hoheit<br />

befand, kniete sie auf die Erde nieder, hob den Brokatsaum und klemmte<br />

das Tüchlein zwischen die Mädchenbeine; und die Prinzessin ließ in ihrer<br />

Ahnungslosigkeit der Arglist der Witwe freien Lauf.<br />

Angesichts der ungeheuerlichen Schändlichkeit, die Tirant in diesem<br />

Augenblick zu gewahren glaubte, durchzuckte eine quälende Vorstellung<br />

sein Gehirn, und mit gebrochener Stimme, erfüllt von unermeßlichem<br />

Schmerz, brach er in wildes Klagen aus:<br />

»O Fortuna, Feindin aller, die da<strong>nach</strong> streben, rechtschaffen zu leben auf<br />

dieser Welt! Warum hast du es zugelassen, daß meine unglückseligen Augen<br />

etwas zu sehen bekommen haben, das noch kein Lebender gesehen hat und<br />

von dem kein Mensch glauben würde, daß irgendwer jemals imstand wäre,<br />

dergleichen zu tun, falls nicht die weibliche Fähigkeit zum Bösen keinerlei<br />

Grenzen hat? O widriges Geschick! Womit habe ich dich beleidigt? Was ist<br />

der Grund, daß du mich in den Schlachten siegen und triumphieren läßt,<br />

während ich in der Liebe zu leiden habe als der unseligste Unglücksmensch,<br />

der je geboren wurde? Weshalb jetzt, <strong>nach</strong>dem du ein solches Ehebündnis<br />

geknüpft, mir eine so ehrenhafte Verbindung ermöglicht hast, deren ich<br />

<strong>nach</strong> m<strong>einem</strong> Stand gar nicht würdig war, höchstens in Anbetracht meiner<br />

Mühsale. Mit deiner Hilfe bin ich so hoch gelangt, und

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