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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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fallen, wie gemeinhin bei Leuten, die sich vor Leid nicht mehr zu fassen<br />

wissen! Meine Kleider werden schwer und immer schwerer von all den<br />

Tränen, die mir aus den Augen fließen. So durchtränkt sind die Stoffe, daß die<br />

Tropfen rieselnd zu Boden rinnen; und mein Körper erzittert wie die Granne,<br />

wenn der Wind die Weizenähre rüttelt. Ich erbitte keinerlei Gnade von euch,<br />

nur dies, daß ihr mir rasch den Todesstoß gebt, damit ich endlich wieder bei<br />

m<strong>einem</strong> Vater sein kann. Seid so gut und laßt mich nicht länger leiden, denn<br />

das Maß meines Unglücks ist grauenhafter als alles, was je eine Frau auf Erden<br />

zu ertragen hatte. Das letzte Abschiedswort, das die feindselige Fortuna mir zu<br />

Ohren kommen ließ, war ein herzzerreißendes ›Ach‹!«<br />

Sie verstummte und sagte kein weiteres Wort. Die Heerführer, welche das<br />

Wehklagen der von Trauer bedrückten Königin vernommen hatten, sprachen<br />

ihr Trost zu, so gut sie konnten.<br />

Man fahndete <strong>nach</strong> dem Schatz des Königs, und als man ihn entdeckte, zeigte<br />

sich, daß er aus einer Menge Dublonen bestand, die ein Goldgewicht von<br />

hundertzweiundfünfzigtausend Mark hatte. Escariano war nämlich ein<br />

steinreicher Fürst, und er hatte, als er die Stadt Tlemsen und einen Großteil<br />

des besagten Reiches eroberte, viel hinzugewonnen.<br />

Tirant holte die angesehensten Muslime des Fleckens herbei und stellte sie der<br />

Königin als Dienerschaft <strong>zur</strong> Verfügung.<br />

Der eingesperrte König rief <strong>nach</strong> den Hauptleuten und bewog sie, ihm das<br />

Kind zu bringen, das er zum Ritter geschlagen hatte. Und er sagte:<br />

»Ihr Herren, <strong>nach</strong>dem es Fortuna beliebt hat, mich in diese Lage zu versetzen,<br />

bleibt mir nichts mehr zu tun als eine einzige Sache: Das kleine Geschöpf,<br />

dem ich mich ergeben habe und dessen Gefangener ich bin, hat kein Erbe zu<br />

erwarten; denn sein Vater und seine Mutter haben recht wenig irdische Güter.<br />

Von Herzen gern überlasse ich, mit eurer Erlaubnis, diesem Kind aus m<strong>einem</strong><br />

persönlichen Vermögen eine Jahresrente von zwanzigtausend Dublonen auf<br />

Lebenszeit.«<br />

Und er ließ <strong>zur</strong> Bestätigung dieser Schenkung eine offizielle Urkunde<br />

ausfertigen, die an zwei Kadis <strong>zur</strong> Hinterlegung übergeben wurde. Und in<br />

deren Gegenwart entschied er überdies, daß all seine Herr-<br />

schaftsrechte und Ländereien Maragdina übereignet werden sollten, seiner<br />

Königin und Gemahlin.<br />

»Jetzt«, sagte der König, »<strong>nach</strong>dem alles getan ist, was ich noch zu tun<br />

wünschte, erwarte ich nichts weiter, als daß ihr mit m<strong>einem</strong> Leib und Leben<br />

macht, was euch beliebt; denn ich bin bereit, den Tod in duldsamer<br />

Gelassenheit hinzunehmen, zu jeder Stunde, wann immer ihr mich<br />

hin<strong>zur</strong>ichten gedenkt; ein unehrenhaftes Begräbnis ist mir ja wohl bereits<br />

sicher. Aber ich möchte euch noch um eine Gunst ersuchen: Laßt doch jenen<br />

abgefeimten, ruchlosen Menschen mir noch einmal vor die Augen treten. Es<br />

wäre mir ein Vergnügen, ihm meine Vergebung auszusprechen, ihm, der mit<br />

großer Gerissenheit und Emsigkeit es vermocht hat, mich in Angst und<br />

Schrecken zu versetzen und all meine Macht zu vernichten.«<br />

Als der Albaner dann vor ihm stand, redete Escariano ihn folgendermaßen<br />

an:<br />

»Alle Achtung, feiner Kerl! Deine Verläßlichkeit verdient Respekt. Als äußerst<br />

beherzt hast du dich erwiesen, indem du dich erkühntest, ein solches<br />

Schurkenstück auszuführen, um einen König zu Fall zu bringen, seine Person<br />

und seine Habe zu zerstören. Durch welches Vergehen habe ich es verdient,<br />

daß ich von dir derart übel behandelt werde? Gut gemimt war die scheinbare<br />

Liebe, die du mir vorgespielt hast. Aber sag, Albaner, was ist aus d<strong>einem</strong><br />

Ehrenwort geworden? Wo ist die Treue geblieben, die du mir mit dem<br />

Schwur eines schlechten Christen gelobt hast? Wer hätte je geglaubt, daß in<br />

dir soviel Bosheit und herzlose Hinterlist hausen? Dein Hauptmann kann sich<br />

ausrechnen, wieviel Verlaß auf dich ist. Wenn sich die Gelegenheit bietet,<br />

wirst du ihm noch übler mitspielen als mir. Fortuna begünstigt ja immer die<br />

Schufte und Schindersknechte. Ich vergebe dir jetzt, weil ich am Rand des<br />

Grabes stehe, in das ich vielleicht schon heut, vielleicht erst morgen geworfen<br />

werde. Doch ich vertraue auf Mohammed, der dafür sorgen wird, daß ein<br />

anderer es dir heimzahlt; denn deine ruchlose Schandtat kann nicht ungestraft<br />

bleiben.«<br />

Tirant ertrug es nicht, den König noch länger so reden zu hören. Er<br />

unterbrach ihn:<br />

»Herr, sei getrost und laß die Hoffnung nicht fahren. Dein Leben ist noch<br />

nicht dahin. Was deine Hoheit zu erdulden hat, sind Auswir-<br />

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