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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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mich, es vor ihnen auszusprechen. Aber wenn Euch kein Erbarmen mit Euch<br />

selbst überkommt – wie sollt Ihr dann Mitleid mit mir bekommen? Und wenn<br />

Ihr Eurer Schönheit nicht verzeiht – wer wird dann Milde finden bei Euch?<br />

Sieht man sich zwei Übeln gegenüber, soll man das geringere wählen.<br />

Welches ist wohl das größere, wenn ich den Tod als das kleinere vorziehe?<br />

Zögere nicht, mir zu sagen, was Eure Durchlaucht erwählen wollen.«<br />

Die Prinzessin erkannte die heftige Leidenschaft, von der Tirant erfüllt war,<br />

und mit liebenswürdiger Miene schickte sie sich an, ihm Rede und Antwort zu<br />

stehen.<br />

KAPITEL CCIX<br />

Was die Prinzessin auf die Worte Tirants erwiderte<br />

irant, deine Worte verdienen eine Antwort, denn ich weiß wohl,<br />

was du begehrst. Aber mein Ruf ist untadelig, weil ich bisher in<br />

m<strong>einem</strong> ganzen Leben noch nie einen Fehltritt begangen habe.<br />

Sag, was für einen Grund hast du, darauf zu hoffen, daß mein<br />

Bett dir offensteht? Schon allein diese Mutmaßung bringt<br />

Jungfrauen gemeinhin in Verruf, und die Leute meinen dann, unseren Worten<br />

sei nicht mehr zu trauen. Auch wenn andere junge Damen sündigen und es<br />

viele gibt, die auf Keuschheit pfeifen – wer verbietet es mir, darauf zu achten,<br />

daß mein Name zu den wenigen gehört, die unbefleckt sind? Wenn ich dir<br />

<strong>nach</strong>gebe, kann ich nicht versichern, daß dies niemand erfährt, und nichts<br />

könnte meine Verfehlung ungeschehen machen. Und womit sollte ich mein<br />

Vergehen entschuldigen? Ich bitte dich also, Tirant, mein Halt und mein Herr,<br />

laß es dir belieben, mir zu erlauben, daß ich die Schönheit, die Fortuna mir<br />

verliehen hat, verteidige, und laß ab von dem Versuch, mir leichtfertig meine<br />

zarte Jungfräulichkeit zu rauben; denn nur die Jungfrau kann keusch genannt<br />

werden, die Furcht hat, ihren guten Ruf zu verlieren. Und glaube mir, was ich<br />

dir jetzt sage:<br />

110<br />

Es mißfällt mir durchaus nicht, daß du mich liebst; aber ich selbst scheue<br />

davor <strong>zur</strong>ück, denjenigen zu lieben, von dem ich glaube, daß er schwerlich je<br />

wirklich der Meinige sein kann; denn Beständigkeit ist, wie man weiß, nicht<br />

das, wodurch sich die Liebe der Ausländer auszeichnet: sie kommt geschwind,<br />

und noch geschwinder verschwindet sie. Denk an das Verhalten des falschen<br />

Jason (oder vieler anderer, die ich dir nennen könnte) und an das unermeßliche<br />

Leid, das die arme Medea durchlitt, die ihre eigenen Kinder tötete und da<strong>nach</strong><br />

sich selber das Leben nahm, womit ihre Qualen ein Ende fanden, was sie sich<br />

zwar wünschte, aber doch nicht die Erfüllung ihrer Hoffnung war.<br />

Von jetzt an will ich nicht mehr an die Dinge von heute denken, sondern an<br />

Geschichten aus der Vergangenheit, die als Vorbilder <strong>einem</strong> von Nutzen sein<br />

können. Denn es ist ja eine Naturgegebenheit, der man unmöglich entrinnen<br />

kann, daß unser Wollen nur dann ans Ziel gelangt, wenn es höchst tugendhaft<br />

wirkt. Wenn also eine junge Dame etwas ersehnt, und sei dies auch etwas<br />

ganz Verruchtes, dann bringt unsereins ein derartiges Verlangen unterm<br />

Schleier oder Deckmantel der Wohlanständigkeit vor. Ich habe die<br />

Heiratsanträge großer Könige verschmäht, habe es in jedem Fall vorgezogen,<br />

mich niemals vom Kaiser, m<strong>einem</strong> Vater, zu trennen; denn ich dachte, daß es<br />

nur recht und billig sei, wenn ich ihm in seinen alten Tagen behilflich bin –<br />

obwohl er oft zu mir sagte: ›Karmesina, entschließe dich, bevor ich aus<br />

diesem Leben scheide! Es wäre mir eine große Freude, dich in den Armen<br />

eines ruhmreichen Ritters zu sehen; denn mein Wille wird mit deiner Wahl<br />

übereinstimmen, ganz gleich, ob es nun ein Ausländer ist, den du haben willst,<br />

oder ein Einheimischer.‹ Und oft treiben die gütigen Worte, mit denen er<br />

mich ständig ermuntert, mir die Tränen in die Augen. Er denkt dann, ich<br />

würde aus Angst weinen, aus Furcht davor, mich in jenen doch eher<br />

lustreichen als gefahrvollen Kampf zu begeben, den die ehrbaren Jungfrauen<br />

vorgeblich oftmals scheuen. Er lobt meine keusche Schamhaftigkeit, vertraut<br />

meiner Lebensführung, und meine Sittsamkeit beruhigt ihn. Was ihn ängstet,<br />

ist meine Schönheit. Und oft, wenn in seiner Gegenwart die Augen von Euch<br />

und Euresgleichen mich als Schönheit rühmen, verdrießt es mich sehr,<br />

solches Lob in s<strong>einem</strong> Beisein zu vernehmen.

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