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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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Sache klar, wie bei Eurem Kampf. Ist der Strauß erst ausgefochten, weiß<br />

jeder, ob es richtig oder falsch war, sich darauf einzulassen. Wäre ich untätig<br />

geblieben, würde Amor, selbst wenn ich jeden Konflikt meiden wollte, es<br />

mir in seiner Güte doch strikt verwehren, so kläglich zu versagen. Deshalb<br />

hat er mich ermächtigt, hierher zu kommen, um mein Heil, mein Alles zu<br />

sehen.«<br />

Sie verstummte, sagte kein weiteres Wort.<br />

»Alles frühere Leid«, sagte Tirant, »ist für mein Gefühl ein Nichts, verglichen<br />

mit den Folterqualen, die ich jetzt erleide. Was ich nun an Schmerz zu<br />

ertragen habe, ist schlimmer als alles, was ich je verspürte. Es treibt mich<br />

zum Äußersten, bringt mich an den Rand des Wahnsinns, der Verzweiflung,<br />

wenn ich die unfaßliche Schönheit sehe, die Eurer Erhabenheit eigen ist –<br />

eine Schönheit, die Euch wahrhaftig über alle Frauen der Welt erhebt; die<br />

mich überwältigt hat, mich gezwungen hat, Euch so maßlos zu lieben. Und<br />

weil ich weiß, wie vollkommen sich alle Tugenden im Wesen Eurer Majestät<br />

vereinen, frage ich mich verwundert, wie es sein kann, daß Eure Hoheit<br />

einen einzigen, schrecklichen Mangel aufweist (mit Verlaub sei’s gesagt, in<br />

der Hoffnung auf Vergebung). Ich meine: daß Ihr nicht liebt, wie Ihr lieben<br />

solltet. Hätte ich Gott so eifrig gedient wie Euch, mit solch williger, freudiger<br />

Hingabe – ich könnte jetzt Wunder wirken. Doch ich, der Unglückseligste<br />

von allen, ich liebte inniger, liebte ehrlicher als alle – und weiß noch immer<br />

nicht, ob ich jemals wiedergeliebt werde. Die Zunge redet lieblich, leichthin<br />

läßt sie alles über die Lippen, was ihr beliebt; aber die Bestätigung durch<br />

leibhaftig spürbare Tat – wo bleibt diese Erfahrung, durch die ich die<br />

Erfüllung des Lebens finden könnte? Denn sobald ein Mensch sich bestätigt<br />

fühlt, sprießt aus dem Zweifel eine blühende Hoffnung. Liebe ist ja kein<br />

Tun, das Schande bringt. Nicht auf der nächstbesten Schustersbank läßt sie<br />

sich nieder, nein, sie liebt nur, wen sie lieben soll – nämlich den, der sie liebt;<br />

und ihm schenkt sie die Seligkeit auf Erden, ein Leben in heiterer<br />

Seelenruhe. Weil Ihr, Herrin, in Eurer Erhabenheit Euch dieser<br />

beruhigenden Wahrheit nicht erinnert, habt Ihr Angst und scheut den<br />

schmalen Pfad, den Eure Majestät verheißen hat. Als ich Eure Durchlaucht<br />

verließ, sagtet Ihr mir, in Gegenwart von Stephania, sinngemäß etwa<br />

Folgendes: ›Tirant, du gehst<br />

656<br />

von mir fort. Sieh zu, daß du lebend heimkehrst. Ich warte hier auf dich,<br />

immer bereit, dir all die treue, wahrhaftige Liebe zu vergelten, die du für<br />

mich hegst. Gott ist gerecht, und nichts auf der Welt entgeht s<strong>einem</strong> Blick.<br />

Er möge so gnädig sein, mein sehnliches Verlangen zu erfüllen, auf daß ich<br />

das deinige stille.’ – Da es höchst unschicklich wäre, Herrin, wenn eine adlige<br />

Jungfrau von so hohem Ansehen ihrem Versprechen nicht <strong>nach</strong>käme, mache<br />

ich folgenden Vorschlag: Wir legen unseren Fall ein paar Unbeteiligten <strong>zur</strong><br />

Beurteilung vor; und diese Leute sollen befugt sein, darüber zu befinden, wie<br />

die Sache ins reine zu bringen ist. Was ich gesagt habe, hat etwas mit der<br />

Mutmaßung zu tun, die ich aus dem Mund der Munteren Witwe vernahm.<br />

Gleich bei meiner Ankunft sagte sie mir nämlich, ich solle mich hüten, den<br />

Worten Eurer Hoheit Glauben zu schenken, sie seien nichts als lyrische<br />

Floskeln gewesen, Schwaden poetischen Traumgewölks. Um alle derartigen<br />

Zweifel zu zerstreuen und zu verhindern, daß die Ehre Eurer Erhabenheit<br />

und meine Meinung von Euch irgendwelchen Schaden erleiden, wollen wir<br />

für Klarheit sorgen. Stephania soll meinen Part vertreten, und Eure Hoheit<br />

kann Wonnemeineslebens oder Diafebus zum Anwalt wählen. «<br />

»Schon seit eh und je«, sagte die Prinzessin, »habe ich sagen hören: ›Hat der<br />

Vater den Vorsitz bei Gericht, so fürchtet der Herr Sohn das Urteil nicht.’<br />

Aber nicht weil ich annehme, daß dies hier der Fall sein könnte, zitiere ich<br />

den Spruch, sondern weil Ihr gern hättet, daß es so wäre. Ich weiß genau,<br />

daß Ihr der Verurteilung entgehen wollt, indem Ihr einen Gerichtshof<br />

empfehlt, der nur aus Leuten besteht, die Euch mit windigen<br />

Advokatentricks aus der Patsche helfen. Jeder andere Richter, jeder, der<br />

weiß, was Liebe ist, was Ehre heißt, würde Euch verdammen. Wenn Ihr<br />

weiterhin mit solch rasendem Starrsinn Euer Ziel verfolgt, verrennt Ihr Euch<br />

so, daß Ihr schließlich gezwungen seid, Euch selbst das Todesurteil zu<br />

sprechen, auch wenn Gott dies nicht will, Gott, der Euch erschuf und Euch<br />

ein so wildes Temperament verliehen hat, daß Ihr zum Widersacher meiner<br />

Ehre und meines guten Rufs geworden seid.«<br />

Während dieses Wortwechsels näherte sich Wonnemeineslebens, ließ sich<br />

nieder zu Füßen Tirants und sagte zu ihm:

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