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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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War es diese deprimierende Erfahrung, hat sie den valencianischen Ritter<br />

(der damals ein Mittvierziger gewesen sein muß) aus <strong>einem</strong> waffenstolzen<br />

Kämpfer zum sinnierenden, fabulierenden Schreibtischtäter gemacht?.<br />

Zwingend beweisen läßt sich das schwerlich. Ob er in Mantua dabei<br />

war? Wenn nicht physisch, so doch im Geiste, ganz gewiß; denn<br />

Piccolominis Rede wurde durch unzählige Abschriften rasch in ganz Europa<br />

bekannt. (Daß die berühmte Isabella d’Este 1501 als Markgräfin von Mantua<br />

den Auftrag <strong>zur</strong> allerersten Übersetzung des Tirant lo Blanc erteilte – die<br />

leider verschollen ist –, könnte ein Indiz dafür sein, daß die Erinnerung an<br />

die Person des Dichters am dortigen Hofe fortlebte. Gänzlich<br />

unwahrscheinlich ist jedenfalls, daß er sich <strong>zur</strong> Zeit des Kongresses noch in<br />

Neapel aufhielt. Den neuen Machthaber dort lehnte er entschieden ab. Wer<br />

sagt das? Martorells Philosoph aus Kalabrien – wo der illegitime, einzige<br />

Sohn Alfonsos, Fernando, zunächst als Herzog amtierte, ehe er sich als<br />

König von Neapel den Ruf eines raffinierten Musenfreundes von<br />

unvorstellbarer Grausamkeit erwarb. Was der Autor dem besagten<br />

Wunderphilosophen in den Mund legt, sind äußerst schroffe Worte<br />

der Distanzierung, der Ablehnung, ja des Abscheus: »Er besitzt das<br />

Königreich zu Unrecht und regiert es als Usurpator, als Tyrann. Die Krone<br />

Siziliens gebührt nämlich dem Herzog von Messina; denn k<strong>einem</strong> Bastard<br />

darf jemals die Berechtigung oder Ermächtigung erteilt werden, über<br />

irgendein Königreich zu herrschen. «)<br />

Ob Martorell in Mantua dabei war oder nicht – eines ist jedenfalls sicher<br />

erkennbar: Die im Kapitel XXXIII des Romans erzählte Episode von jenem<br />

Ritter, der sich mit beispielhaft kühner Entschiedenheit gegen die<br />

Entweihung der Heiligtümer Konstantinopels wendet, ist nichts anderes als<br />

eine ins Medium plastisch agierender Erzählkunst transponierte,<br />

anekdotisch inszenierte, also <strong>zur</strong> Handlung einer fiktiven Person<br />

gewordene Wiedergabe der eben zitierten Mantuaner Worte Piccolominis,<br />

gleichsam ihre unmittelbare Umsetzung in den erlebbaren Moment der<br />

Verwirklichung dessen, was sie forderten, als Haltung und exemplarische<br />

Tat. Und vielleicht gewahrt der Leser dieser ritterlichen<br />

Wunschtraumszene auch (was bisher anscheinend noch keiner bemerkt<br />

hat), daß sich in der erfa-<br />

belten Figur des dort vorgeführten beispielhaften Täters, der sich im<br />

Auftrag des Papstes <strong>nach</strong> Konstantinopel begibt und der Schändung der<br />

Hagia Sophia ein Ende macht, sich die emblematisch verrätselte<br />

Huldigung an den verstorbenen König des ritterlichen Dichters verhohlen<br />

zu erkennen gibt: Quintus Superior (Quint lo Superior) – ist das nicht<br />

ein als epische Miniatur dargebotenes Inbild der noch postum<br />

bewahrten Verehrung jener hochgemuten (freilich nie verwirklichten)<br />

Absicht, die Alfonso der Fünfte (Quint!) 1454 proklamiert hatte und<br />

die, wie ich glaube, der Anlaß gewesen war, weshalb »unser geliebter<br />

Mossèn Joanot Martorell« <strong>nach</strong> Neapel reiste, zu s<strong>einem</strong> bis heute mit<br />

dem Beinamen »der Großmütige« (lo Superior!) gefeierten Oberherrn?<br />

Derart verrätselte, halb verhüllte, halb demonstrativ aufgedeckte Bezüge<br />

zu Gestalten der damaligen Zeitgeschichte aufzuspüren, ist keine<br />

Marotte dessen, der sich mit der angeblichen Zweckfreiheit des<br />

Romans nicht zufriedengeben will. Ich weiß zwar, daß die bisherige,<br />

vorwiegend von Katalanen betriebene Tirant-Forschung die (damalige)<br />

Aktualität dieser Dichtung wenn nicht ignoriert, so doch flüchtig<br />

übergeht, sie jedenfalls nie als das bestimmende Moment anerkennt. Die<br />

einheimischen, verständlicherweise auf die Katalanität des Werkes und<br />

der Person dieses großen europäischen Erzählers erpichten Gelehrten<br />

ziehen es vor, als Hauptanregung für Martorell die rund 140 Jahre zuvor<br />

entstandene Crònica von Ramon Muntaner hervorzuheben, in der<br />

dieser über die von ihm selbst aktiv miterlebte Expedition der<br />

sogenannten »Katalanischen Kompanie« kreuz und quer durch das<br />

byzantinische Reich berichtet. Der hochtalentierte, schließlich<br />

heimtückisch ermordete Anführer jenes ursprünglich als Hilfscorps<br />

angereisten winzigen Heeres von rauhbeinigen Wanderkriegern, die durch<br />

den Neid griechischer Rivalen auf ihre stupenden Erfolge im Kampf<br />

gegen die Türken allmählich zu Gegnern der durch sie Befreiten, ja <strong>zur</strong><br />

allgemeinen Landplage wurden –deren Anführer also, Roger de Flor, der<br />

als Sohn eines deutschen Falkners in den Diensten des Königs von<br />

Sizilien eigentlich Richard von Blume hieß, wird als das entscheidende<br />

Vorbild der Figur Tirants ausgegeben. Daß Reminiszenzen aus der<br />

Lektüre jener Chronik das Schaffen Martorells beeinflußt haben, ist nicht<br />

zu bezwei-<br />

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