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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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sie auf und ging mit raschen Schritten hinüber zum Zimmer ihrer Tochter<br />

und fand diese am Boden liegend, bewußtlos; und was man auch versuchte –<br />

es gelang nicht, sie wieder zu sich zu bringen. Der Kaiser mußte aufstehen,<br />

und sämtliche Ärzte wurden herbeordert. Dennoch blieb die Prinzessin<br />

weiterhin ohnmächtig; drei Stunden lang war sie ohne Bewußtsein. Und der<br />

Kaiser fragte, weshalb seine Tochter in diesen Zustand verfallen sei. Man<br />

antwortete ihm:<br />

»Herr, sie hat wieder eine Ratte gesehen, diesmal zwar eine ganz kleine; aber<br />

weil in ihrer Phantasie noch immer die andere Ratte wuselte, die sie übers<br />

Bett krabbeln gehört hatte, ist sie beim Anblick dieser zweiten derart<br />

erschrocken, daß sie völlig außer sich geriet.«<br />

»O armer alter Kaiser, traurig und trostlos! Mußte es denn sein, daß ich in<br />

meinen letzten Lebenstagen soviel Leid zu ertragen habe? O grausamer Tod!<br />

Worauf wartest du noch? Warum kommst du nicht gleich zu mir, der sich<br />

doch sehnt <strong>nach</strong> dir?«<br />

Und indem er dies sagte, schwanden ihm seine Sinne, ohnmächtig sank er zu<br />

Boden, genau wie seine Tochter. Das Jammern und Schreien, das daraufhin<br />

im ganzen Palast sich erhob, war so ungeheuer, daß jedermann, der es hörte<br />

und sah, höchst bestürzt sich fragte, weshalb die Leute derart wehklagten;<br />

und der Tumult war noch schlimmer als jener zuvor.<br />

Tirant, der im Schutz des Säulenvorbaus darauf wartete, daß man die Reittiere<br />

für seinen Abtransport brächte, hörte ein so furchtbares Geschrei, daß es<br />

schien, der Himmel stürze ein. Und als die Pferde <strong>zur</strong> Stelle waren, nahm er<br />

alle Kraft zusammen, um sich so rasch wie möglich in den Sattel hieven zu<br />

lassen, trotz vielfältigen Schmerzen und Qualen, die er dabei aushalten mußte.<br />

Was seine Martern mehrte, war aber vor allem die Sorge, das Lärmen bedeute<br />

Unheil, das die Prinzessin betroffen habe. Hippolyt nahm ein Mantelfutter<br />

aus Zobelpelz und wickelte es um das gebrochene Bein, als Schutz gegen die<br />

Nachtkälte. So unauffällig wie möglich ritten sie dann zum Stadttor. Die<br />

Wächter erkannten Tirant und fragten, wohin er um diese Stunde wolle. Und<br />

er antwortete, er reite <strong>nach</strong> Bellestar, zu seinen Pferden, um sie zu mustern;<br />

denn die Zeit bis zum Aufbruch<br />

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sei sehr knapp geworden, er müsse rasch <strong>zur</strong>ück ins Feld. Geschwind wurden<br />

ihm die Torflügel geöffnet, und Tirant zog seines Weges. Als sie eine halbe<br />

Meile geritten waren, sagte Tirant:<br />

»Ich mache mir große Sorgen, ob es für die Prinzessin nicht ein böses<br />

Nachspiel gegeben hat, von seiten des Kaisers, meinetwegen. Ich möchte<br />

umkehren und ihr beistehen, falls sie Hilfe braucht.« Der Vicomte meinte:<br />

»Bei Gott, Ihr seid grad in der rechten Verfassung, um der Dame beizustehen!«<br />

»Herr Vicomte«, entgegnete Tirant, »ich fühle mich nicht mehr schlecht,<br />

durchaus nicht! Ihr wißt ja, daß ein größeres Übel das kleinere zum<br />

Verschwinden bringt. Deshalb flehe ich Euch an, habt die Güte, laßt uns<br />

<strong>zur</strong>ückkehren in die Stadt, für den Fall, daß wir ihr irgendwie von Nutzen sein<br />

können.«<br />

»Ihr habt den Verstand verloren oder seid völlig übergeschnappt«, sagte der<br />

Vicomte. »Der Kerl kann sich nicht aufrecht halten und will in die Stadt<br />

<strong>zur</strong>ückreiten! Damit der Kaiser und alle anderen merken und begreifen, was für<br />

ein Vergehen Ihr begangen habt! Es wird schwierig genug sein, die Sache so zu<br />

vertuschen, daß die Leute keinen Verdacht schöpfen und Ihr weder bezichtigt<br />

noch belangt werdet. Verlaßt Euch drauf: Wenn Ihr jetzt hier umdreht und<br />

<strong>zur</strong>ücktrabt, könnt Ihr nicht mit heiler Haut davonkommen – vorausgesetzt,<br />

daß alles sich so abgespielt hat, wie Ihr sagt.«<br />

»Ist es nicht recht und billig«, sagte Tirant, »daß ich, der die Untat begangen<br />

hat, die fällige Strafe auf mich nehme? Und mein Tod, denke ich, wird einen<br />

guten Zweck erfüllen, wenn ich um einer so tugendreichen Herrin willen<br />

sterbe.«<br />

»Gott soll mich verdammen«, sagte der Vicomte, »wenn Ihr kehrtmacht. Ich<br />

werde das zu verhindern wissen, notfalls mit Gewalt. Und wozu denn! Ist dort<br />

nicht der Herzog? Wird er nicht, wenn er merkt, daß irgend etwas das Wohl<br />

oder das Ansehen der Prinzessin beeinträchtigt, ihr zu Hilfe eilen? Jetzt könnt<br />

Ihr sehen, wohin die traurigen Liebschaften führen! Laßt uns gehen, wenn es<br />

Euch beliebt! Laßt uns nicht länger hier verharren! Denn je mehr Zeit wir<br />

ungenutzt verstreichen lassen, desto üblere Folgen hat es für Euch.«<br />

»Seid so gut«, sagte Tirant, »wenn Ihr mich schon nicht <strong>zur</strong>ückgehen

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