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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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erwählt. Aber jetzt, wo ich alt und schon vergeben bin, ist es für mich zu spät,<br />

noch irgendwelche Hoffnung zu hegen.«<br />

Unter Geplauder dieser Art spazierten sie zum Palast, und die Prinzessin, die<br />

alles hörte, was die Kaiserin unterwegs redete, flüsterte Tirant zu:<br />

»Diese Alte, meine Mutter, bedauert sich selbst; gar zu gern würde sie auch<br />

noch mitspielen; denn Liebesfeuer verzehrt sie, und wilde Unruhe überkommt<br />

sie, sobald sie Euch erblickt, Euch, die Blüte allen Rittertums, das<br />

vollkommene Inbild edler Anmut; und mit Wehmut gedenkt sie da der großen<br />

Schönheit, die ihr selbst einmal eigen war. Wäret Ihr einstens gekommen, zu<br />

ihrer Glanzzeit, so hätte sie – bildet sie sich ein – alles gehabt, was sie<br />

begehrenswert hätte erscheinen lassen, würdig, Eure Liebe zu erlangen. Oh,<br />

was für ein rasender Wahnsinn, etwas zu ersehnen, was man vernünftigerweise<br />

weder erwarten noch erhalten kann! Es zu bereuen, daß man tugendhaft gelebt<br />

hat, und die letzten Lebenstage noch in Liederlichkeit verjubeln zu wollen!<br />

»0 Zuchtmeisterin«, sagte Tirant. »Ihr tadelt Liebesvergehen und hättet doch<br />

selber strenge Bestrafung verdient, weil Ihr nicht liebt, obwohl Ihr wißt, daß<br />

Ihr geliebt werdet. Aber ich will Eure Worte nicht schmähen und schon gar<br />

nicht den Unwillen Eurer Hoheit erregen. Hart zu antworten ist und bleibt<br />

Sache der ehrbaren Damen, die kein bißchen Entgegenkommen kennen; die<br />

es darauf abgesehen haben, den Edelleuten Kränkung anzutun, und doch<br />

unentwegt die von den Männern Gekränkten sein wollen. Das paßt nicht<br />

zusammen und schickt sich nicht für eine ehrsame Jungfrau, erst recht nicht<br />

für eine junge Dame von hochadliger Abkunft.«<br />

In diesem Augenblick näherte sich der Kaiser und fragte den Kapitan <strong>nach</strong><br />

dem Zustand seiner Verwundungen, und Tirant antwortete, daß inzwischen<br />

ein wenig Fieber hinzugekommen sei:<br />

»Und durch das Gehen, denke ich, wird die Entzündung gereizt.« Der Kaiser<br />

wies ihn an, sogleich sein Quartier aufzusuchen, begleitet von den Ärzten. Als<br />

diese die Wunden gereinigt und verbunden hatten, sagten sie, er dürfe das<br />

Bett nicht verlassen, wenn er wieder gesund werden und seinen Arm behalten<br />

wolle. Und Tirant fügte sich gern diesem ärztlichen Rat. Der Kaiser aber kam<br />

jeden Tag einmal,<br />

um <strong>nach</strong> ihm zu sehen; und der Kaiserin sowie seiner Tochter erteilte der<br />

Herrscher den Auftrag, täglich zweimal, sowohl morgens wie abends, den<br />

Verwundeten zu besuchen. Die muntere Witwe aber, mehr von Liebesgier als<br />

von christlichem Erbarmen getrieben, umsorgte ihn unablässig während der<br />

ganzen Zeit seiner Bettlägrigkeit.<br />

Laßt uns nun jedoch <strong>zur</strong>ückschauen und berichten, wie sich die Türken<br />

gegenüber den Christen verhielten, die im Feldlager geblieben waren. Nachdem<br />

die Muslime erfahren hatten, wie die furchtbare Schlacht zwischen dem<br />

Kapitan und dem Großkaramanen ausgegangen war, und sie losstürmend in<br />

der Wut ihrer wilden Trauer die beiden Grafen, Borgenza und Malatesta,<br />

gefangengenommen hatten, berannten sie wieder und wieder die Stadt San<br />

Giorgio, töteten viele Christen, machten zahlreiche Gefangene und schleppten<br />

ihre Beute in langen Zügen fort. Erbittert führten sie Krieg, mit gnadenloser<br />

Grausamkeit. Und wenige von denen, die ihnen in die Hände fielen, kamen mit<br />

dem Leben davon. Wie schmerzlich war da für die Christen der Gedanke, daß<br />

jetzt, gerade jetzt, Tirant nicht <strong>zur</strong> Stelle war; daß sie in den Kampf ziehen<br />

mußten ohne ihn; daß auch der kluge Diafebus fehlte, ihr Großkonnetabel,<br />

ebenso jener tapfere Herr von Agramunt; ausgerechnet die drei, die sie doch so<br />

dringend gebraucht hätten, jetzt, wo es um Kopf und Kragen ging, wo sie sich<br />

ständig der Gefahr stellen mußten, im Getümmel niedergemetzelt zu werden.<br />

In ihrer Not riefen sie Tirant an, als ob der ein Heiliger wäre. Sie waren ihrer<br />

Sache nicht mehr sehr sicher, hatten eher große Furcht vor den Türken; denn<br />

der kühne Mut, der sie erfüllt hatte, als sie dank der befeuernden Gegenwart<br />

Tirants von Sieg zu Sieg eilten, war ihnen gänzlich entschwunden, seit er nicht<br />

mehr bei ihnen weilte. Und sie beteten ein Extragebet, in dem sie unseren<br />

Herrgott anflehten, Tirant zu helfen, damit sie ihn bald <strong>zur</strong>ückbekommen<br />

könnten; denn auf ihm ruhte all ihre Hoffnung.<br />

Und sie schickten einen Brief an den Kaiser, worin sie ihn inständig baten, er<br />

möge ihnen doch ihren Messias senden, Tirant, weil sie aufs neue von den<br />

gewohnten Widrigkeiten der mißgünstigen Fortuna heimgesucht würden.<br />

Deswegen sei es ihr dringliches Verlangen, den Bretonen bald wieder als<br />

leibhaftiges Unterpfand des Sieges bei<br />

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