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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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Und das wurde schriftlich aufgesetzt, zum dauernden Gedenken des<br />

tugendstarken Tirants und als Aufruf an alle lebenden und kommenden<br />

Ritter, diesem Vorbild zu folgen. Der Kaiser ließ sämtliche Ratsmitglieder<br />

zusammenrufen und trug ihnen seinen ganzen Plan vor, und alle lobten diese<br />

Absicht sehr, da auch sie der Meinung waren, das sei nur recht und billig in<br />

Anbetracht der rechnerischen Tatsache, daß der Bretone binnen viereinhalb<br />

Jahren dreihundertzweiundsiebzig Marktflecken, Städte und Burgen erobert<br />

habe.<br />

Doch als der Kaiser diese Ratsversammlung eröffnete und Tirant erfuhr,<br />

worum es dabei gehen sollte, wollte er daran nicht teilnehmen; er zog es vor,<br />

sich zu verziehen, <strong>zur</strong>ück in sein Quartier, denn es wäre ihm peinlich<br />

gewesen, mit anhören zu müssen, was für ein Rühmungstheater man<br />

seinetwegen inszenieren würde; und andererseits mied er auch deshalb am<br />

liebsten derartige Sitzungen der großen Herren, wo ja vielerlei Meinungen<br />

geäußert werden, weil es ihm mißfiel, wenn in seiner Gegenwart irgendwer<br />

der Meinung des Kaisers widersprach. Nachdem selbige Beratung<br />

abgeschlossen worden war, ließ der Kaiser die Fachleute kommen, die das<br />

Festarrangement bewerkstelligen sollten, und gebot ihnen, gleich am nächsten<br />

Tag die Fahnen und Feldzeichen gemäß seiner Anordnung zu placieren.<br />

Bevor Tirant den Garten verließ, hatte er noch Hippolyt zugeflüstert:<br />

»Sag Wonnemeineslebens, sie soll in den Hauptsaal kommen; denn ich muß<br />

mit ihr reden.«<br />

Hippolyt überbrachte diese Botschaft, und das Mädchen suchte eilends den<br />

genannten Raum auf. Tirant umarmte sie, lächelte sie höchst liebenswürdig an<br />

und nahm sie bei der Hand. Als beide in einer Fensternische Platz genommen<br />

hatten, sagte der Ritter Folgendes zu der jungen Dame.<br />

294<br />

KAPITEL CCLXXVI<br />

Die Bitten, die Tirant an Wonnemeineslebens richtete<br />

einer Klugheit, reizende, liebenswürdige Jungfrau, sei mein Geist<br />

und mein Leben anvertraut, denn ohne deinen freundschaftlichen<br />

Rat und Beistand bin ich nichts. Und mein Denken, ruhlos<br />

umhergetrieben, kommt nicht mehr zu sich selbst. Auch wenn ich<br />

die Augen offen habe, bin ich verschlossen, wünsche mir sehnlich,<br />

den Rest meines qualvollen Lebens schlafend zu verbringen, wie das<br />

angeblich der heilige Johannes der Täufer getan hat und noch immer tut;<br />

denn am Johannistag, dem Tag, an dem Christen, Muslime und Juden<br />

alljährlich gewaltige Festlichkeiten <strong>zur</strong> Feier seines Andenkens veranstalten,<br />

da schlummert – so heißt es jedenfalls – die Seele des glorreichen Täufers,<br />

und sie tut das, <strong>nach</strong> Meinung vieler, um nicht in Hoffart zu verfallen, aus der<br />

Sorge, allzu großer Stolz könnte ihn die eine oder andere schon erklommene<br />

Himmelsrangstufe kosten. So ergeht es auch mir, der ich mich in der gleichen<br />

Gefahr befinde, durch die übergroße Liebe zu derjenigen, die an Tugenden<br />

alle weiblichen Wesen übertrifft und die ich ständig anbetend betrachte,<br />

wobei ich wieder und wieder ein besonderes Gebet spreche, das da lautet: ›O<br />

erbarmungsreiche Göttin auf Erden, deren Erscheinung gleich zu Beginn, vor<br />

all meinen Mühen und Plagen, sich mir in diesem Saal hier offenbarte als<br />

Anlaß meines rasenden Liebeskummers! Gib mir Seelenstärke, daß ich die<br />

Schmerzen, die mich quälen, ertragen kann! Lindere meine Beschwerden und<br />

laß mich nicht heillos leiden in meiner Drangsal!‹ Liebe Herzensschwester,<br />

schau, was alles ich um Ihrer Majestät willen auszustehen habe! Bedenke, wie<br />

oft schon der grausame Tod mir dicht vor Augen stand! Überlege, ob meine<br />

Treue soviel Unheil verdient, all das Ungemach, das ich auf mich nehme, um<br />

wahrer Liebhaber zu werden– denn bis jetzt habe ich noch nicht die ganze<br />

Fülle der vollkommenen Liebe meiner Herrin erlebt. Ich bin mit Ihrer Hoheit<br />

beisammen gewesen, und da haben wir lange liebevolle Gespräche geführt,<br />

haben einen Friedensschluß vereinbart und ein echtes Bündnis beschlossen,<br />

wobei mir mit Schwurworten versichert worden ist,

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