22.12.2012 Aufrufe

Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Ritter, gerade am Fenster, sah den Mann von weitem herankommen und<br />

achtete auf jeden seiner Schritte. Als der Wanderer schon nahe bei der Burg<br />

war, gewahrte er einen Weinberg voller Trauben; augenblicklich verließ er den<br />

Weg, welcher <strong>zur</strong> Burg führte, und drang ins Rebgelände ein. Als der Ritter<br />

sah, daß der Fremde zwischen den Weinstöcken verschwand, rief er einen<br />

seiner Diener herbei und sagte zu ihm: ›Schnell, geh zum Weinberg. Dort<br />

wirst du einen Mann finden. Hüte deine Zunge, sag kein Wort zu ihm, aber<br />

beobachte genau, was er tut, und komm gleich wieder, um mir zu melden,<br />

was er treibt.‹ Der Diener kehrte <strong>zur</strong>ück und berichtete: ›Herr, Ihr werdet ihn<br />

dort auf der Erde liegen sehen und könnt zuschauen, wie er die Trauben mit<br />

den Händen packt, als Ganzes, ohne erst den Stengel vom Stock zu brechen,<br />

sich dann das Maul vollstopft und alles hinunterschlingt, wobei er sich keinen<br />

Deut darum schert, ob die Beeren noch grün oder schon reif sind.‹ – ›Das<br />

zeigt‹, sagte der Ritter, ›daß sie ihm schmecken. Geh noch einmal hin und<br />

schau, was er macht.‹ Als der Diener wieder <strong>zur</strong>ückkam, meldete er s<strong>einem</strong><br />

Herrn: ›Mit gespreizten Pranken greift er zu und schaufelt Handvoll um<br />

Handvoll in sich hinein.‹ – ›Laß ihn nur prassen; sie behagen ihm sehr. Geh<br />

noch einmal hin.‹ Als der Diener zum dritten Mal <strong>zur</strong>ückkehrte, sagte er:<br />

›Herr, jetzt ißt er sie nicht mehr mit solch wilder Gier; jetzt pflückt er jeweils<br />

bloß vier oder fünf Beeren zugleich.‹ – ›Laß ihn nur machen, denn noch ist er<br />

mit Lust bei der Sache.‹ Als dann der Diener das nächste Mal <strong>zur</strong>ückkam,<br />

sagte er: ›Herr, nun sucht er diejenigen aus, die schön reif sind, steckt sie sich<br />

einzeln in den Mund, kostet den Saft und das musige Fruchtfleisch, das die<br />

Beeren enthalten, die Haut aber spuckt er aus.‹ Da erhob der Burgherr ein<br />

großes Geschrei und befahl: ›Lauf schleunigst hin und sag ihm, er soll meinen<br />

Weinberg verlassen; denn jetzt verdirbt er mir den ganzen Herbst.‹<br />

Genau von der gleichen Logik, Herrin, ist das Verhalten, das Eure Majestät<br />

mir gegenüber bekundet, der ich in diese Schlafkammer eindrang, mit vollen<br />

Pranken im Traubenrevier praßte und dann jeweils vier, fünf Beeren zugleich<br />

pflückte, ohne daß Eure Hoheit irgendwann sagte, ich solle mich verziehen,<br />

und ohne daß gewarnt worden wäre, gleich werde der Kaiser kommen, um<br />

Eure Gemächer zu inspizieren. Aber jetzt, wo ich die besten, reifsten<br />

Früchte einzeln koste – jetzt<br />

262<br />

gebt Ihr mir den Abschied und sagt, ich soll gehen. Ich begnüge mich jedoch<br />

mit der Freude, dem Befehl Eurer Hoheit zu gehorchen.« Eliseu, die das alles<br />

mit anhörte, fand großen Gefallen an dem Redefluß Hippolyts, und er<br />

erheiterte sie dermaßen, daß sie vor Wonne schallend loslachte – was höchst<br />

verwunderlich wirkte, <strong>nach</strong>dem man sie in all diesen Tagen niemals lachen<br />

gehört hatte, weder laut noch verhalten, und sie nie eine freudige Miene<br />

gezeigt hatte, bis zu diesem Moment, in dem sie mit strahlendem Gesicht<br />

erklärte: »Hippolyt, was Ihr meiner Herrin gesagt habt, hat mich höchlich ergötzt.<br />

Ich merke mit Freude, daß Ihr als feinfühliger Mann den Rang und die<br />

Wesensart meiner Herrin erkannt habt; deshalb verspreche ich Euch, gelobe<br />

es mit dem Ehrenwort einer Dame von Adel, daß ich Tag für Tag, mein<br />

ganzes Leben lang, Euch so gewogen und ergeben sein will wie<br />

Wonnemeineslebens der Prinzessin – mindestens ebenso, wenn nicht noch<br />

mehr. Und ich will dafür sorgen, daß Euer Anrecht hier gewahrt wird und<br />

kein anderer Euch das streitig macht, was ein gütiges Geschick Euch in den<br />

Schoß fallen ließ.«<br />

Sie wandte sich der Kaiserin zu und bat diese demütiglich, sie möge doch die<br />

Güte haben, ihn dableiben zu lassen, und zwar so lange, wie es ihm selbst<br />

behage. Und die Kaiserin gewährte es ihm, um der Zofe nicht die Freude zu<br />

verderben. Hippolyt, der neben der Herrscherin lag, erhob sich, ging auf Eliseu<br />

zu, umarmte und küßte sie und bedankte sich tausendfach für die Gunst, die er<br />

dank ihrer Fürsprache erlangt hatte. Und somit war zwischen den beiden der<br />

Friede geschlossen.<br />

Eines Tages, während Hippolyt abseits im Frisierkämmerchen weilte,<br />

unterhielten sich die zwei Damen über ihn. Dabei fragte Eliseu die Kaiserin:<br />

»Herrin, wenn Ihr einen Ritter als Liebhaber habt – warum laßt Ihr es da zu,<br />

daß er bei Tirant ist? Hat Eure Majestät nicht die Mittel, um selbständig für<br />

seinen Unterhalt zu sorgen und ihm so viel zukommen zu lassen, daß er auf<br />

keinen anderen Menschen angewiesen ist? Ich, die ich eine arme Zofe bin,<br />

würde mich da in einer mißlichen Lage fühlen; wenn ich einen Liebhaber<br />

hätte, würde ich ihm helfen, so gut ich irgend könnte – selbst wenn ich meinen<br />

Rock verpfänden müßte, um ihn zu unterstützen. Wieviel leichter fällt das<br />

Euch, die

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!