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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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ants beginnt: die Begegnung des Ritters mit dem Einsiedler. Daß der<br />

berühmte Maler die »Urfassung« des Romananfangs (Guillem de Varoic)<br />

kannte, als er das Gemälde schuf, das heute in der Londoner National<br />

Gallery hängt (mit dem irreführenden Titel »Die Jungfrau mit dem Kind<br />

nebst den zwei Heiligen Antonius und Georg«), schließe ich aus dem<br />

Detail, das die kriegerische Vergangenheit des Büßers mit einer<br />

dramatischen Geste bezeugt: Der Bettelstab des Alten in der<br />

franziskanischen Tertiarierkutte dient nicht als Stütze –schräg unter den<br />

rechten Arm geklemmt, wirkt er wie eine eingelegte Lanze, stoßbereit.<br />

Daß dies nicht der Ausdruck eigener Kampfbereitschaft ist, sondern die<br />

mimische Verdeutlichung des Sinns einer alarmierenden Forderung, die<br />

sich an den eleganten Jüngling in weißer Rüstung richtet, zeigt die<br />

erhobene Bettlerglocke, die der Eremit dem Ritter entgegenstreckt, als<br />

gälte es, den gewappneten Strohhut-Träger zu wecken, ihn aus den Träumen<br />

höfischer Eitelkeit zu reißen, ihn hinzuweisen auf das, was seine<br />

eigentliche Aufgabe ist. Das geschwänzte Ungeheuer, das zu Füßen des<br />

jungen Mannes über den goldenen Sporen hervorlugt – ein traditionelles<br />

Georgsattribut –, hat die Gelehrten veranlaßt, in der Gestalt dieses Ritters<br />

nur eine weitere Darstellung des altvertrauten Patrons aller Ritterschaft<br />

zu sehen (obwohl ihm in diesem Fall der zu erwartende Heiligenschein fehlt<br />

und an dessen Stelle ein – damals – modischer Strohhut mit weit<br />

ausladender, schön geschwungener Krempe prangt). Nirgendwo in der<br />

hagiographischen Literatur kann ich auch nur die geringste Spur einer<br />

Begegnung von Sankt Antonius und Sankt Georg finden. Ich meine deshalb,<br />

daß das Gemälde eine Llull-Ikone ist, eine Huldigung aus aktuellem Anlaß<br />

an den Verfasser des geistlich-kriegerischen Grundgesetzes der Ritterschaft,<br />

des Llibre de l’orde de cavalleria, dem Martorell – wie gesagt – die ersten<br />

Takte seiner gewaltigen epischen Tirant-Symphonie verdankt (und der<br />

traditionsgemäß im mallorquinisch-katalanischen Bereich schon immer nicht<br />

nur mit <strong>einem</strong> Bart von enormer Länge, sondern auch – seines legendären<br />

Märtyrertodes wegen – trotz mangelnder kirchenamtlicher Heiligsprechung<br />

mit einer Aureole gemalt worden ist).<br />

Meine Vermutung, daß Pisanello bei der Gestaltung der Llull’schen Szene<br />

auch von Martorell und dessen frühem Warwick-Fragment<br />

beeinflußt wurde, entstammt der Wahrnehmung, daß Pisanellos<br />

Eremitenfigur eine Haltung geballter, temperamentvoller Intensität besitzt,<br />

wie sie literarisch erst durch die Verschmelzung mit dem Naturell des<br />

gräflichen Kämpen aus England zustande gekommen ist. Daß Alfonso<br />

dem angesehensten Künstler seines Hofes den Auftrag erteilte, gerade<br />

dieses Thema zum Gegenstand seiner Kunst zu machen, ist diesem<br />

hochgebildeten Monarchen, Ritter und hellwachen Politiker, der sich der<br />

Gefahren eines Versagens der christlichen Kriegertugenden klar bewußt<br />

war, ohne weiteres zuzutrauen (zumal da man in Neapel gewiß nicht<br />

vergessen hatte, daß eben diese Stadt eine Hauptstation des dramatischen<br />

Lebens von Ramon Llull gewesen war, der Ort seines kühnsten Scheiterns,<br />

seines vergeblichen Versuchs, den Papst für die Bildung der großen,<br />

vereinten Ordensarmada zu gewinnen, deren Waffenmacht <strong>nach</strong> dem<br />

leidenschaftlichen Willen dieses Liebhabers der Moslems und Juden dazu<br />

dienen sollte, der geistigen Auseinandersetzung mit den<br />

Andersgläubigen im Morgenland eine gesicherte Basis zu schaffen, von<br />

der aus man bewirken könnte, daß die tragischen Differenzen zwischen<br />

den großen monotheistischen Religionen künftig als der Auftrag begriffen<br />

würden, im stetigen Gespräch die Kraft der widerstreitenden Argumente zu<br />

messen, mit den Mitteln der Ratio das Trennende zu überwinden und der<br />

höheren Einsicht zum Triumph zu verhelfen, statt die unterschiedlichen<br />

Meinungen als Motiv für endlose Machtkämpfe mißbrauchen zu lassen, bei<br />

denen es in Wahrheit um nichts anderes geht als die Befriedigung der<br />

Gewaltgier blutiger Tyrannen –wie dies das Beispiel des schlechthinnigen<br />

»Eroberers« mit erschrekkender Deutlichkeit aufs neue lehrte). Wer aber<br />

mit dem Hinweis auf den nur allzu traditionellen Georgs-Drachen jeden<br />

aktuellen Bezug dieses Gemäldes bestreiten möchte, sollte <strong>zur</strong><br />

Kenntnis nehmen, daß Enea Silvio Piccolomini, alias Pius II., Mehmed<br />

als »giftigen Drachen« bezeichnete, als »das Tier aus dem Abgrund«.<br />

Den phantastischen Strahlenkranz, der die himmlische Erscheinung der<br />

Jungfrau mit dem Kind umgibt, haben die Kunstwissenschaftler als<br />

außerordentliche bildnerische Erfindung gewürdigt. Einig sind sie sich über<br />

die einzigartige dekorative Wirkung dieser Invention, doch die Deutungen<br />

der bestürzend neuen Form dieser kreisrunden Man-<br />

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