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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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woran sowohl er wie auch sie das allergrößte Vergnügen zu haben schienen.<br />

Und als schon die Morgendämmerung nahte und die Leute im Palast sich zu<br />

regen begannen, sagte die Prinzessin: »Wenn es <strong>nach</strong> mir ginge, hätte ich es<br />

nicht bewilligt, daß der Tag so früh erscheint. Mir würde es gefallen, wenn<br />

diese Wonne ein ganzes Jahr lang währen könnte oder nie ein Ende hätte.<br />

Steh auf, Tirant, Herr des Griechischen Reiches, denn morgen, oder wann<br />

immer es dir beliebt, kannst du wieder hierherkommen.«<br />

Tief bekümmert erhob sich Tirant und sagte:<br />

»Mir beliebt, was Ihr mir zu tun gebietet, aber ich befürchte, daß mein<br />

Verlangen niemals wahre Erfüllung findet, und mein Denken irrt unschlüssig<br />

umher.«<br />

Doch um nicht von irgendwem gehört oder gesehen zu werden, machte er<br />

sich, sosehr es ihn auch schmerzte, alsbald aufbruchsbereit und überhäufte<br />

seine Liebste zum Abschied mit leidenschaftlichen Küssen.<br />

Nachdem er gegangen war, kochte der Unmut über, den Wonnemeineslebens<br />

nicht länger <strong>zur</strong>ückhalten konnte. Als nämlich die Prinzessin sie und die<br />

Jungfrau von Montblanc herbeirief, brach es, kaum daß die zwei Zofen, die<br />

alles genau mitbekommen hatten, was zwischen Karmesina und Tirant<br />

passiert war, vor ihrer Herrin standen, wild aus Wonnemeineslebens hervor:<br />

»Da schlag doch der Donner drein! Eure Hoheit hat das Vergnügen, Tirant<br />

die Lust, und ich hab die Sündenlast. Aber daß es zu keiner Tat gekommen<br />

ist – das halte ich nicht aus, das reißt an mir, daß ich meine, ich müsse<br />

sterben vor Wut. Dieser Schlappschwanz von Ritter soll mir noch mal unter<br />

die Augen kommen, und ihr werdet erleben, was ich dem sage! Nie wieder<br />

werde ich dem behilflich sein! Lieber werfe ich ihm Knüppel zwischen die<br />

Beine, wann und wo immer ich kann!«<br />

»Meiner Treu!« entgegnete die Jungfrau von Montblanc. »Er hat, bei Gott,<br />

große Tugend bewiesen, wie es sich für einen so tapferen und höflichen<br />

Ritter seines Schlages geziemt, indem er sich entschied, lieber auf seine Lust<br />

zu verzichten, als meine Herrin zu verdrießen.«<br />

Die Diskussion über diese Streitfrage zog sich einige Zeit hin, bis schließlich,<br />

als es bereits heller Tag war, der Kaiser sowohl seiner Ge-<br />

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mahlin als auch seiner Tochter die Aufforderung zukommen ließ, sie sollten<br />

samt allen Damen und aufs schönste gewandet zu dem Fest kommen, das<br />

man zu Ehren Tirants feiern wolle. Desgleichen ließ er allen Rittern und<br />

Damen aus der Stadt bestellen, sie sollten sich im Palast einfinden. Aber der<br />

Prinzessin wäre es in diesem Fall, weiß Gott, viel lieber gewesen, wenn sie,<br />

statt ausgehen zu müssen, hätte schlafen dürfen. Doch aus Liebe zu Tirant<br />

und um das Fest nicht zu beeinträchtigen, erhob sie sich von ihrem Lager<br />

und putzte sich besonders hübsch heraus. Gemeinsam mit ihren Zofen ging<br />

sie dann hinüber in den Hauptsaal, wo sie den Kaiser vorfanden, umringt von<br />

allen Adligen und Rittern seines Hofstaates sowie dem Damenflor der Stadt.<br />

Und als man sich in Reihen zum Festzug aufgestellt hatte, zog man mit den<br />

zweihundertzweiundsiebzig Fahnen, die der Prozession vorangetragen<br />

wurden, in schöner Ordnung durch die ganze Stadt, bis hin <strong>zur</strong> Kirche.<br />

Tirant näherte sich der Prinzessin, und sie empfing ihn mit liebenswürdiger<br />

Miene. Ihre Worte ließen erkennen, daß sie noch immer höchst wohlgelaunt<br />

war. Doch was sie ihm sagen konnte, war nur ein einziger Satz:<br />

»Tirant, du mein Herr, alles was ich habe, ist deiner Herrschaft<br />

anheimgegeben.«<br />

Tirant wagte es aber nicht, ihr zu antworten, aus Furcht, der Kaiser und<br />

andere Personen, die in der Nähe waren, könnten ihn hören. Es begann die<br />

Messe, die mit großer Feierlichkeit zelebriert wurde. Und beim Versprengen<br />

des Weihwassers wurde eine Fahne aufgepflanzt. Nachdem das<br />

Glaubensbekenntnis gesprochen war, pflanzte man eine andere auf, und so<br />

ging es fort: <strong>nach</strong> jedem Psalm, jeder Antiphon erschien eine weitere. Als die<br />

Messe gelesen war, hatten alle Banner ihren Standort gefunden. Tirant wollte<br />

jedoch nicht dort Platz nehmen, wo er gewöhnlich saß, auch nicht in der<br />

Nähe des Kaisers. Das Stundenbuch in der Hand, zog er sich in eine<br />

Seitenkapelle <strong>zur</strong>ück, und von dort aus konnte er in aller Ruhe die Prinzessin<br />

betrachten. Und, um die Wahrheit zu sagen, es waren recht wenige<br />

Stundenbuchverse, die Tirant bei diesem Hochamt mitsprach. Wie es die<br />

Prinzessin hielt, weiß ich nicht zu sagen; gewiß ist nur, daß sie während der<br />

ganzen Dauer des Gottesdienstes Tirant nicht ein

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