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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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gab er den Mannen zu essen von dem, was er hatte. Nach dem Essen fragte<br />

der Ritter Espercius den Gastgeber, ob er nicht so gütig sein wolle, ihm zu<br />

verraten, wer diese Insel verzaubert habe, die so wunderschön aussehe und<br />

dennoch derart verödet sei.<br />

Und der Alte sagte: Da ihm scheine, daß er es mit <strong>einem</strong> rechtschaffenen<br />

Manne zu tun habe, wolle er ihm alles erzählen.<br />

»Herr, Ihr müßt wissen, daß ehemals Hippokrates der Fürst dieser Insel war;<br />

er war der Herr über Kos und Kreta, und er hatte eine bildschöne Tochter,<br />

die heutzutage in Gestalt eines Drachen hier auf dieser Insel lebt: ein<br />

Ungeheuer, gut sieben Ellen lang, schätze ich; denn ich habe sie schon oft mit<br />

eigenen Augen gesehen. Man nennt sie ›Die Herrin der Insel. Ihr Ruhelager<br />

und ihren Wohnsitz hat sie in den Gewölben einer uralten Burg, dort droben<br />

auf der Anhöhe, die Ihr von hier aus sehen könnt. Zweimal oder dreimal im<br />

Jahr zeigt sie sich, und sie tut niemandem etwas zuleide, wenn man sie nicht<br />

durch ein Ärgernis wütend macht. Die Verwandlung dieses edlen und schönen<br />

Mädchens in jene Drachengestalt war das Werk einer zaubermächtigen<br />

Göttin namens Diana. Um diese Verhexung rückgängig zu machen, so daß<br />

die Jungfrau ihre eigene Gestalt wiedererlangt und ihren ursprünglichen Stand<br />

<strong>zur</strong>ückgewinnt, ist es nötig, daß ihr ein Ritter begegnet, der so beherzt wäre,<br />

daß er es wagen würde, hinzugehen und sie auf den Drachenmund zu küssen.<br />

Einmal ist ein Ritter von Rhodos gekommen, ein Johanniter vom dortigen<br />

Hospital, der ein kühner Kämpe war und keck erklärte, er gehe hin, um sie zu<br />

küssen. Er bestieg ein Pferd und ritt hinauf <strong>zur</strong> Burg. Droben drang er in die<br />

Kellerhöhle ein, und der Drache begann sein Haupt zu heben, es ihm zu<br />

nähern. Und als der Ritter sah, wie unheimlich das war, was da auf ihn zukam,<br />

stob er entsetzt davon. Der Drache jagte ihm <strong>nach</strong>, und das Roß raste samt<br />

s<strong>einem</strong> Reiter auf eine vorkragende Küstenklippe und stürzte sich ins Meer.<br />

So kam jener Ritter ums Leben.<br />

Einige Zeit da<strong>nach</strong> begab es sich, daß ein Jüngling hier erschien, der nichts<br />

von dieser Geschichte wußte, noch kein Wort davon gehört hatte. Er kam mit<br />

einer Barke, stieg aus und ging an Land, um sich zu s<strong>einem</strong> Vergnügen ein<br />

bißchen umzusehen. Und wie er sich so auf der Insel herumtrieb, stand er<br />

plötzlich am Portal jener Burg. Er ging hinein, hinunter ins Kellergeschoß,<br />

immer tiefer, bis er sich auf einmal<br />

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in <strong>einem</strong> Gemach befand; und da sah er ein Mädchen, das sich kämmte und<br />

dabei in einen Spiegel schaute. Und rings um sie herum sah er viele<br />

Kostbarkeiten liegen. Der junge Bursche dachte, es sei wohl eine Verrückte<br />

oder eine liederliche Weibsperson, die sich da aufhalte, um <strong>einem</strong> jeden<br />

Mannsbild, das da zufällig vorbeikommen mochte, liebe Gesellschaft zu<br />

leisten. Er rührte sich nicht vom Fleck, bis das Mädchen seinen Schatten<br />

bemerkte, auf ihn zuging und ihn fragte, was er wolle. Und er antwortete:<br />

›Gnädigste, wenn es Euch beliebt, würde ich gern Ihr Diener werden.‹<br />

Daraufhin fragte ihn die Jungfrau, ob er Ritter sei; und der Jüngling sagte,<br />

nein, das sei er nicht. ›Nun‹, sagte die Jungfrau, ›wenn Ihr kein Ritter seid,<br />

könnt Ihr nicht mein Herr sein. Aber kehrt doch um, geht <strong>zur</strong>ück zu Euren<br />

Gefährten und laßt Euch zum Ritter schlagen. Ich werde dann morgen früh<br />

meine Kellerhöhle verlassen und Euch entgegengehen; und Ihr kommt auf<br />

mich zu, um mich auf den Mund zu küssen. Ihr braucht da keinerlei Angst<br />

zu haben, denn ich werde Euch nichts Böses tun, auch wenn ich mich Euch<br />

in einer Aufmachung zeige, die grausig anzusehen ist. In Wahrheit bin ich<br />

nämlich so, wie Ihr mich jetzt seht, aber durch Verzauberung erscheine ich<br />

Euch als Drache. Und wenn Ihr mich küßt, so gehört Euch dieser ganze<br />

Schatz, und Ihr werdet mein Gemahl und der Herr dieser Inseln sein.‹<br />

Also verließ der Jüngling den Burgkeller, ging zu seinen Gefährten auf der<br />

Barke und ließ sich zum Ritter schlagen. Am nächsten Tag stieg er wieder die<br />

Anhöhe hinauf, wo die Jungfrau weilte, um sie zu küssen. Und wie er sie aus<br />

dem Gewölbe herauskommen sah, ein Ungeheuer von so abscheulicher,<br />

grauenerregender Gestalt, da befiel den Burschen solch große Angst, daß er<br />

davonlief, schiffwärts flüchtend, und sie folgte ihm bis ans Meeresufer. Und<br />

als sie gewahrte, daß er nicht zu ihr <strong>zur</strong>ückkehren würde, stieß sie schrille,<br />

gellende Schreie aus, wie ein Mensch, der wilde Schmerzen erleidet, und<br />

schreiend lief sie <strong>zur</strong>ück zu ihrer Behausung. Der frisch geweihte Ritter aber<br />

starb auf der Stelle. Und auch später ist kein Ritter aufgetaucht, der nicht<br />

alsbald sein Leben eingebüßt hätte. Wenn jedoch einer käme, der es wagte,<br />

sie zu küssen – er müßte nicht sterben, würde vielmehr zum Herrn dieses<br />

ganzen Landes.«<br />

Als der hochbeherzte Ritter Espercius vernommen hatte, was der

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