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Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

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fehlt?« sagte die Gräfin. »Ich bin mir zwar sicher, daß Ihr, aus Liebe zum<br />

Sohn, Euch meiner zuweilen erinnern werdet; aber lieben, wenn man<br />

fern ist, das ist wie der Rauch von kläglich glimmendem Werg. Wollt Ihr,<br />

daß ich offen sage, was ich denke, Herr? Mein Gram ist größer als Eure<br />

Liebe. Wäre es nämlich so, wie Euer Gnaden sagen, so würdet Ihr, glaube<br />

ich, dableiben, mir zuliebe. Doch was nützt dem Mohren die heilige Ölung,<br />

wenn er im Irrglauben verharrt? Was nützt mir die Liebe eines<br />

Ehemannes, von der ich nichts spüre?«<br />

»Gräfin, meine Herrin«, sprach der Graf, »meint Ihr nicht, daß es genug ist<br />

der Worte? Ich kann nicht umhin, ich muß fort. Ob Ihr geht oder bleibt,<br />

liegt in Eurer Hand.«<br />

»Mir bleibt ja nichts anderes übrig«, sagte die Gräfin, »als in meine Kammer<br />

zu gehen und mein elendes Los zu beweinen.« Tief betrübt<br />

verabschiedete sich der Graf von ihr, indem er sie viele Male küßte, wobei<br />

ihm heiße Tränen aus den Augen stürzten. Auch all den anderen Damen<br />

sagte er ein unsagbar trauriges Lebewohl. Und als er schließlich von<br />

dannen ritt, begleitete ihn, wie er es gewollt, nur ein einziger<br />

Schildknappe.<br />

Und als er seine Stadt Warwick hinter sich hatte, begab er sich auf ein<br />

Schiff; und mit günstigem Winde segelnd, gelangte er irgendwann <strong>nach</strong><br />

Alexandria, heil und wohlbehalten. Wieder festen Boden unter den Füßen<br />

fühlend, trat er in guter Gesellschaft den Marsch <strong>nach</strong> Jerusalem an, und<br />

als er in selbiger Stadt angekommen war, bekannte er offen und eifrig<br />

seine Sünden und empfing in tiefster Andacht den kostbaren Leib Jesu<br />

Christi. Da<strong>nach</strong> betrat er die Grabeskirche, um die heilige Gruft des<br />

Heilands zu besuchen, und dort sprach er unter vielen Tränen viele<br />

inbrünstige Gebete, seine Sünden zutiefst bereuend, so daß er die<br />

Vergebung von oben verdiente.<br />

Nachdem er aber all die heiligen Stätten besucht hatte, die es in Jerusalem<br />

gibt, pilgerte er <strong>zur</strong>ück <strong>nach</strong> Alexandria, begab sich auf ein Schiff und reiste<br />

<strong>nach</strong> Venedig, wo er alle Münzen, die er noch hatte, dem Schildknappen<br />

schenkte, weil dieser ihm treulich gedient hatte; auch verhalf er demselben<br />

dort <strong>zur</strong> Heirat, so daß der Bursche kein Verlangen mehr hatte, <strong>nach</strong><br />

England heimzukehren. Und durch den<br />

Mund des Knappen ließ er das Gerücht verbreiten, er sei gestorben, womit<br />

er dafür sorgte, daß Kaufleute in ihren Briefen <strong>nach</strong> England schrieben, Graf<br />

Wilhelm von Warwick sei auf der Heimreise vom Heiligen Grab zu<br />

Jerusalem ums Leben gekommen.<br />

Als die tugendhafte Gräfin diese Nachricht erfuhr, litt sie schreckliches Leid,<br />

betrauerte ihn mit maßlosem Jammer und ließ feierliche Totenmessen für<br />

ihn lesen, wie sie <strong>einem</strong> so tapferen Ritter gebühren. Später aber, als<br />

einige Zeit vergangen war, kehrte der Graf in sein Heimatland <strong>zur</strong>ück,<br />

ganz allein, mit langem, bis zu den Schultern wallendem Haar und mit<br />

<strong>einem</strong> Bart, gänzlich weiß, der bis zum Gürtel reichte, gewandet mit dem<br />

Ordenskleid des glorreichen heiligen Franziskus, nur von Almosen lebend;<br />

und insgeheim ließ er sich in einer Einsiedelei nieder, bei einer Kapelle zu<br />

Ehren Unserer Lieben Frau, ganz in der Nähe seiner Stadt Warwick.<br />

Diese Einsiedlerkapelle befand sich hoch oben in <strong>einem</strong> Gebirge, umringt<br />

von herrlichem, dichtem Wald, bei einer klar sprudelnden Quelle. Der<br />

tugendhafte Graf hatte sich in die menschenleere Stille dieser Behausung<br />

<strong>zur</strong>ückgezogen, um dem weltlichen Treiben zu entrinnen und in der<br />

Einsamkeit angemessen zu büßen für alle Fehler, die er begangen.<br />

Ausharrend in diesem tugendreichen Leben, nur von milden Gaben sich<br />

nährend, ging er jede Woche ein einziges Mal in seine Stadt Warwick,<br />

wo er um Almosen bettelte. Von k<strong>einem</strong> erkannt, wegen des wuchernden<br />

Bartes und der langen Haare, die er trug, sammelte er dort, was man ihm<br />

aus Nächstenliebe gab, und suchte auch die tugendhafte Gräfin auf, seine<br />

Frau, welche angesichts der Demut, mit der er sie um ein Almosen bat,<br />

ihm viel mehr milde Gaben zukommen ließ als allen anderen Armen; und so<br />

lebte er eine ganze Weile lang in seiner erbarmungswürdigen Dürftigkeit.<br />

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