22.12.2012 Aufrufe

Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

Steckbrief zur Fahndung nach einem tatverdächtigen ... - Ivitra

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Commines wird Hunyadi 1458, zwei Jahre <strong>nach</strong> s<strong>einem</strong> Tod, sozusagen<br />

schon titelgerecht als »le chevalier blanc de Vallaquie« erwähnt: »ein<br />

einfacher Edelmann, doch von großem Verstand und voll mannhafter<br />

Tugend«, der lange Zeit das Königreich Ungarn regiert habe und dessen<br />

Sohn nun König der Ungarn sei.<br />

Dieser Sohn aber, der den väterlichen Abwehrkampf tatkräftig fortführte,<br />

wird noch heute in den Geschichtsbüchern, nicht nur der Ungarn, als<br />

»Matthias der Große« oder einfach als der »Corvinus« gerühmt: als das<br />

»Räblein«, würdiger Sproß des alten »Raben«. Der Diminutiv, der somit<br />

erstaunlicherweise als Signum der Größe fungiert, war und ist nämlich nichts<br />

anderes als eine Anspielung auf das Zeichen, das Hunyadi in unzähligen<br />

Schlachten auf s<strong>einem</strong> Schilde führte – das heraldische Symbol der<br />

Standhaftigkeit, das Hunyadi von seinen Vorfahren ererbt hatte, Martorells<br />

Tirant aber scheinbar aus spielerischer Laune auf seinen Schild malen läßt.<br />

Als der Valencianer im Januar 1460 mit der Niederschrift seines<br />

Romans begann, war »das Räblein«, ein Jüngling von siebzehn oder achtzehn<br />

Jahren, fast zwangsläufig die imaginierte Lichtfigur, an die sich die<br />

Hoffnungen all derer klammerten, die <strong>nach</strong> dem Tod von Hunyadi, Calixtus<br />

und Alfonso, <strong>nach</strong> dem kläglichen Scheitern des großangelegten Versuchs<br />

von Piccolomini in Mantua wachen Sinnes noch auf Möglichkeiten <strong>zur</strong><br />

Rettung sannen. Und das leidenschaftliche Interesse an diesem Blutserben<br />

des großen Verteidigungshelden wurde noch gesteigert durch die Tatsache,<br />

daß Friedrich III., der deutsche Kaiser – dessen Aufgabe es <strong>nach</strong> der damals<br />

noch immer gültigen Auffassung des Mittelalters gewesen wäre, als oberster<br />

Schirmherr für das Wohl und den Schutz der gesamten Christenheit zu<br />

sorgen –, dem frisch Gekrönten in den Rücken fiel, indem er, noch<br />

während man in Mantua rhetorisch die Einheit des Abendlandes beschwor,<br />

sich selbst durch jene ungarischen Magnaten, die dem Emporkömmling aus<br />

niederem Adel die Krone mißgönnten, zum König von Ungarn<br />

proklamieren ließ, also das Hauptbollwerk spaltete, dem er die bisherige<br />

Sicherheit seiner eigenen Stammlande zu verdanken hatte.<br />

Die manische Beschränktheit einer solch kurzsichtigen, eigensüchtigen<br />

Fürstenpolitik war – so vermute ich – der Grund für eine zu-<br />

nächst als phantastischer Aberwitz, als ahistorische Absurdität erscheinende<br />

taktische Maßnahme des Erzählers: er erlaubte es sich, seinen<br />

Kaiser von Konstantinopel, diesen nicht unsympathisch gezeichneten, aber<br />

blassen, schwachen, kampfunfähigen Imperator, so zu benennen, wie der<br />

seinerzeit real amtierende Kaiser des Heiligen Römischen Reiches<br />

deutscher Nation hieß: Friedrich (valencianisch: Frederic) – obwohl<br />

Martorell, wie jedermann damals, natürlich wußte, daß der im Kampf<br />

gefallene letzte Ostkaiser sich Konstantin genannt hatte. »Es überrascht«,<br />

meint Riquer, diesem Kaisernamen im byzantinischen Bereich zu<br />

begegnen; und er vermerkt zugleich, daß dieselbe fiktive Kaiserfigur in<br />

<strong>einem</strong> sehr viel späteren Kapitel (CLXXXVI) einen anderen, nicht minder<br />

verwunderlichen Namen führt: Heinrich (Enric).<br />

Der spontan sich aufdrängende Verdacht, es handle sich bei dieser<br />

zwiefachen Benennung schlicht um ein Versehen des Autors, verflüchtigt<br />

sich freilich, wenn <strong>einem</strong> einfällt, daß genau diese beiden Namen schon<br />

einmal, viele Jahre zuvor, von Martorell verkoppelt wurden. In <strong>einem</strong><br />

seiner letzten Fehdebriefe an Gonçalvo schrieb der Valencianer am März<br />

1450: »Ich werde Seine Majestät den Herrn Kaiser oder den mächtigen<br />

Herrn König von England aufsuchen ...«<br />

Daß er den englischen Heinrich persönlich kannte, wissen wir; und eine<br />

direkte oder indirekte Beziehung zum deutschen Friedrich dürfte als<br />

recht wahrscheinlich gelten, falls man den Briefschreiber nicht für einen<br />

wild drauflos schwafelnden Schwadroneur halten will. Wie er sich<br />

damals, eines privaten, ja nichtig wirkenden Ehrenhandels wegen, an die<br />

genannten Großpotentaten wandte, so scheint er nun, wo es nicht<br />

um ihn, sondern um alles, um den Bestand seiner ganzen Welt geht,<br />

erneut dieselben hohen, großmächtigen Herren ansprechen zu wollen, um<br />

ihnen die Sache vorzutragen – um ihnen klarzumachen, daß es in diesem<br />

Fall weniger um seine Ehre als um das Wohl und Wehe der Monarchen<br />

selbst und all der ihnen Anvertrauten geht. Und er tut dies nicht in der<br />

Form eines direkten moralischen Appells (dessen Vergeblichkeit er <strong>zur</strong><br />

Genüge erfahren hatte), sondern in Form eines phantastisch verkappten<br />

Antrags. Er insinuiert den Hoheiten, die scheinbar fern aller Türkenge-<br />

31

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!