Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
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Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />
Linke et al. 2004: 301). Obwohl alle GesprächsteilnehmerInnen zu Wort kommen möchten,<br />
ist allen bekannt, dass das Rederecht einem/r SprecherIn für eine gewisse Zeit zusteht,<br />
nachdem es einmal vergeben ist. Denn damit alle sachlich relevanten Punkte vorgebracht<br />
werden können, sollte man den anderen ausreden lassen. Daher sind alle AkteurInnen daran<br />
interessiert, dass das Rederecht für eine gewisse Mindestdauer gewährt wird: Denn<br />
würden sie sich ständig gegenseitig ins Wort fallen, könnte niemand von ihnen das Publikum<br />
von sich bzw. von den eigenen (politischen) Ansichten überzeugen. (Holly et al.<br />
1986: 63). Bei den klassischen Medien hat die Gesprächsleitung verschiedene Aufgaben zu<br />
erfüllen. Eine der gesprächsorganisatorischen Aufgaben ist es, das Rederecht an die Gesprächsteilnehmenden<br />
zu verteilen und die Ausgewogenheit der Redezeiten herzustellen. 117<br />
Aufgrund der gesprächsleitenden Funktion wird (a) die M<strong>oder</strong>ation gesondert betrachtet<br />
und (b) bei der Fremdwahl zwischen M<strong>oder</strong>atorInnenwahl und TeilnehmerInnenwahl differenziert.<br />
In den dialogischen Radio- und Fernsehformaten übernimmt die M<strong>oder</strong>ation das<br />
Rederecht mehrheitlich eigeninitiativ (97.4%) und wird praktisch nicht von anderen dazu<br />
aufgefordert, es zu übernehmen und somit nicht als eigentliche DiskursteilnehmerIn behandelt.<br />
Daran zeigt sich, dass der/die M<strong>oder</strong>atorIn in erster Linie die Rolle der Gesprächsübermittlung<br />
einnimmt (s.u.). Die Teilnehmenden ihrerseits erhalten das Wort in<br />
über der Hälfte aller Sprecherwechsel von der M<strong>oder</strong>ation erteilt (55.8%), übernehmen es<br />
in rund zwei Fünfteln eigeninitiativ (41.8%). Von anderen Teilnehmenden werden sie selten<br />
aufgefordert, sich in das Gespräch einzubringen (2.5%). Im Folgenden wird betrachtet,<br />
ob es hinsichtlich des Sprecherwechsels Unterschiede auf sprachregionaler Ebene bzw. auf<br />
Ebene der ökonomischen Stellung der Anbieter zu verzeichnen gibt.<br />
Klassische Medien: Sprachregionen<br />
An dieser Stelle interessiert nun, ob die Diskussion in den beiden Sprachregionen jeweils<br />
über die M<strong>oder</strong>ation läuft <strong>oder</strong> ob sich die Teilnehmenden gegenseitig auffordern, Stellung<br />
zu beziehen <strong>oder</strong> eine Frage zu beantworten. Die folgende Aufstellung zeigt, wie die Sprechenden<br />
das Rederecht erhalten.<br />
Sprecherwechsel M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende M<strong>oder</strong>ation Teilnehmende<br />
Deutschschweiz Deutschschweiz Westschweiz Westschweiz<br />
(n = 589)<br />
(n = 960)<br />
(n = 973)<br />
(n = 1317)<br />
Selbstwahl 99.2% 47.6% 96.4% 37.5%<br />
Wort durch M<strong>oder</strong>ation<br />
erteilt<br />
0.0% 49.9% 2.6% 60.1%<br />
Wort durch TeilnehmerIn<br />
erteilt<br />
0.8% 2.5% 1.0% 2.4%<br />
Tabelle 11: Sprecherwechsel von M<strong>oder</strong>ation und Teilnehmenden nach Sprachregion<br />
Aus Tabelle 11 wird ersichtlich, dass die M<strong>oder</strong>ation von den Teilnehmenden kaum aktiv<br />
in den <strong>Dialog</strong> eingebunden wird. Die Teilnehmenden fordern die Diskussionsleitung lediglich<br />
in 0.8% (Deutschschweiz) bzw. in 1.0% (Westschweiz) dazu auf, sich in den <strong>Dialog</strong><br />
einzubringen. Die M<strong>oder</strong>ation ergreift jeweils selbst das Wort und verteilt ihrerseits das<br />
Rederecht an die Diskussionsteilnehmenden. Das bedeutet, dass das Gespräch in beiden<br />
Landesteilen vor allem über den/die M<strong>oder</strong>atorIn läuft. Die Teilnehmenden in der<br />
Deutschschweiz erhalten das Rederecht in knapp der Hälfte aller Sprecherwechsel von der<br />
M<strong>oder</strong>ation (49.9%), in der Romandie gar in drei Fünfteln (60.1%). Die stärkere Präsenz<br />
der M<strong>oder</strong>ation in den Sendungen der Westschweiz kann durch das Verhältnis von Interviews<br />
und Debatten in den beiden Sprachregionen erklärt werden. In Interviews kommt der<br />
M<strong>oder</strong>ation eine stärkere Bedeutung zu (s.u.) – dieses <strong>Dialog</strong>format hat in der West-<br />
117 Vgl. Kapitel 5.2.<br />
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