Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
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Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />
gleichs zwischen den google.groups und den Online-Foren von Medienverlagshäusern lassen<br />
sich in diesem Zusammenhang keine nennenswerten Unterschiede feststellen.<br />
Klassische Medien und Online-Foren<br />
Wie bereits erwähnt, gehört es bei Radio und Fernsehen zur Aufgabe der M<strong>oder</strong>ation dafür<br />
zu sorgen, dass es hinsichtlich des Wechsels zwischen SprecherIn und HörerIn zu keiner<br />
systematischen Verzerrung des Gesprächs kommt. Im Internet dagegen müssen die AkteurInnen<br />
den Diskurs selbst regulieren. Aufgrund der verschiedenen Rollenausprägungen ist<br />
im Vergleich zwischen den beiden Mediengattungen insbesondere die Fremdwahl durch<br />
die TeilnehmerInnen interessant: Auffällig ist, dass der Anteil der Teilnehmendenwahl im<br />
Internet mit 8% deutlich höher ausfällt als in Radio und Fernsehen (2.5%). Das liegt daran,<br />
dass in den Online-Foren die Rolle der M<strong>oder</strong>ation nicht definiert ist. Trotzdem ist der<br />
Anteil derer, die sich gegenseitig auffordern ihre Meinung abzugeben, immer noch relativ<br />
gering. Die Fremdwahl ist in den Diskussionsforen faktisch die einzige Möglichkeit, den<br />
<strong>Dialog</strong> zu forcieren. Viele Teilnehmende greifen, wie gezeigt werden konnte mehr als die<br />
Hälfte aller UserInnen, allerdings ohnehin nur punktuell in die Diskussion ein. Die so genannten<br />
One-Poster beteiligen sich mit nur einem einzigen Post an der Diskussion (54.5%<br />
der NutzerInnen). Möglicherweise verfolgen sie das Forum über eine längere Zeit, begnügen<br />
sich jedoch damit, nur einmal aktiv in die Diskussion einzugreifen, um ihre Meinung<br />
abzugeben <strong>oder</strong> eine Frage in den Raum zu stellen. 120 Von solchen UserInnen kann ein m<strong>oder</strong>ierendes<br />
Diskursverhalten nicht erwartet werden. Immerhin gibt es unter den übrigen<br />
Teilnehmenden einige Personen, die die Problematik der Nicht-M<strong>oder</strong>ation erkennen und<br />
durch Aufforderung versuchen etwas dagegen zu unternehmen.<br />
Kurzzusammenfassung: Da die M<strong>oder</strong>ation in Diskussionsforen fehlt, müssen die UserInnen<br />
die Sprecherwahl selbst regulieren. Dadurch ist der Anteil der TeilnehmerInnenwahl<br />
im Internet gut dreimal höher als in Radio und Fernsehen. Verglichen mit der Leistung der<br />
M<strong>oder</strong>ation ist die gegenseitige Aufforderung zu posten in den Foren dennoch relativ gering.<br />
Die Resultate deuten darauf hin, dass die Teilnehmenden den kontinuierlichen Meinungsaustausch<br />
mit anderen eher selten dezidiert vorantreiben. In den Foren der Westschweiz<br />
wird der/die AutorIn etwas häufiger durch die Fremdwahl bestimmt als in der<br />
Deutschschweiz. Dies ist anhand der Forenstruktur erklärbar. Stellen die Foren keine Antwortmöglichkeiten<br />
zur Verfügung, müssen sich die UserInnen gegenseitig zum Verfassen<br />
auffordern, um den <strong>Dialog</strong> zu forcieren.<br />
Der Sprecherwechsel allein sagt jedoch nur beschränkt etwas darüber aus, inwiefern die<br />
Teilnehmenden miteinander sprechen <strong>oder</strong> eher darauf bedacht sind, ihre eigenen Ansichten<br />
zu produzieren. Deshalb wird in den folgenden Subkapiteln darauf eingegangen, wie<br />
stark sich die Gesprächsbeteiligten aufeinander beziehen.<br />
6.2 Oberflächliche Bezugnahme<br />
Die Reziprozität zeigt das Ausmass, zu welchem die Teilnehmenden die Aussagen der<br />
Anderen rezipieren (zuhören bzw. lesen) und einander antworten. In diesem Zusammenhang<br />
muss betont werden, dass in dieser Untersuchung nicht die Reflexivität, sondern die<br />
Reziprozität erhoben wurde. Reflexivität bezeichnet einen inneren Prozess, zielt also auf<br />
die Frage ab, welche kognitive Leistung die AkteurInnen erbringen. Damit ist sie schwer<br />
messbar, wie beispielsweise von Dahlberg eingeräumt wird: „Unfortunately, reflexivity is<br />
difficult to detect given that it is largely an internal process and changes in people’s positions<br />
take place over long periods of time“ (Dahlberg 2001 c: 5, Hervorhebung v. Verf.).<br />
Reziprozität dagegen zeigt, ob ein Bezug zu einem anderen Beitrag hergestellt wird, be-<br />
120 Vgl. dazu Kapitel 5.2, S. 79ff.<br />
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