Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Theoretische Verortung der Untersuchung<br />
tologischer Seite her – grössere Beachtung gefunden. Hier sind v.a. die Arbeiten zu nennen,<br />
die sich aus der Perspektive der „e-democracy“ mit den neuen Kommunikationstechnologien<br />
befassen (vgl. Kies, Jansen 2005; Dahlberg 2001a, b).<br />
Die meisten dieser Studien konzentrieren sich auf das Ideal des (genuinen) Konsens und<br />
untersuchen etwa, welche Auswirkungen unterschiedliche Rahmenbedingungen auf den<br />
Diskursverlauf haben und/<strong>oder</strong> wie sich die Endergebnisse etwa von parlamentarischen<br />
Debatten unterscheiden, je nach dem wie deliberativ die vorgängige Diskussion verlief. Im<br />
ersten Fall geht es um systematische Unterschiede in den formalen Diskussionsbedingungen<br />
wie etwa die Inklusivität der beteiligten AkteurInnen, die Möglichkeiten des Rollenwechsels<br />
zwischen SprecherIn und HörerIn, Redezeiten, usw., die den Diskussionsverlauf<br />
und mithin die Diskursqualität beeinflussen. Die Überlegung hinter dem zweiten Punkt<br />
hingegen, der bisher v.a. von Steiner et al. (2004) untersucht worden ist, besteht darin, dass<br />
sich konsensuell getroffene Entscheidungen wegen ihrer „Höherwertigkeit“ gegenüber<br />
reinen Mehrheitsentscheiden nicht nur durch ihr Zustandekommen, sondern unter Umständen<br />
auch in ihrem Inhalt unterscheiden. Dieser Aspekt wird in der gängigen theoretischen<br />
Literatur nicht thematisiert. Es liesse sich aber bspw. postulieren, dass Entscheidungen, die<br />
im Konsens erzielt worden sind, eher Rawls’ Differenzprinzip entsprechen <strong>oder</strong> dass sie<br />
sich generell stärker am Allgemeinwohl orientieren. 20<br />
Das vorliegende Projekt nimmt einen Teil dieser Anliegen auf, indem es unterschiedliche<br />
Sprachregionen (Deutschschweiz vs. Romandie), Mediengattungen (Radio und Fernsehen<br />
vs. Internet) und wirtschaftliche Stellung (öffentliche vs. privat finanzierte Sender) untersucht<br />
und danach fragt, wie sich diese medialen Rahmenbedingungen auf den Diskussionsverlauf<br />
auswirken. Im Gegensatz zu den politologischen Ansätzen geht es aber nicht<br />
darum aufzuzeigen, wie nahe die Diskussion in den unterschiedlichen Formaten an einen<br />
Konsens der TeilnehmerInnen führt. Vielmehr interessiert hier, welche AkteurInnen und<br />
Sichtweisen zu Wort kommen, wie sie sich selbst und insbesondere von den Medien zueinander<br />
in Beziehung setzen bzw. gesetzt werden. Hingegen spielt es eine untergeordnete<br />
Rolle, ob Diskussionen überhaupt zu einem konkreten Endergebnis führen, auf das sich<br />
alle Teilnehmenden verständigen können. Denn erstens handelt es sich bei den untersuchten<br />
deliberativen Arenen nicht um staatliche Körperschaften, die unter einem Entscheidungszwang<br />
stehen. Und zweitens besteht die allgemeine Intention der ProduzentInnen der<br />
untersuchten Sendungen wie auch bei den Internetforen ja darin, den RezipientInnen unterschiedliche<br />
Meinungen zu präsentieren und sie miteinander in Verbindung zu setzen. Diese<br />
externe, sprich öffentliche Deliberation, fungiert dann als Input für das interne, private<br />
Abwägen der RezipientInnen, was Robert E. Goodin (2000) „deliberation within“ nennt<br />
und womit er ein Modell der individuellen Meinungs- und Willensbildung beschreibt. Diesem<br />
Zusammenhang zwischen öffentlicher Diskussion und privater Meinungsbildung soll<br />
nun im Folgenden nachgegangen werden.<br />
Im vorliegenden Projekt werden die Medien – d.h. der/die M<strong>oder</strong>atorIn – als eigenständige AkteurInnen<br />
betrachtet und je nach Fragestellung zusammen mit den anderen AkteurInnen <strong>oder</strong> gesondert ausgewertet.<br />
20 Rawls hat das „Differenzprinzip“ im Rahmen seiner Theorie der Gerechtigkeit ausgearbeitet, um aufzuzeigen,<br />
wie eine demokratische Ordnung verfasst sein muss, „wenn man jedermann als moralisches Subjekt<br />
gleich behandeln will und die Anteile der Menschen an den Früchten und Lasten der gesellschaftlichen Zusammenarbeit<br />
nicht durch gesellschaftliche <strong>oder</strong> natürliche Zufälligkeiten bestimmen lassen möchte“ (Rawls<br />
1979: 95). Das Differenzprinzip greift also dort ein, wo keine eindeutige Regelung besteht und unterschiedliche<br />
Formen der Chancenverteilung möglich sind. Es definiert, „dass die Gesellschaftsordnung nur dann<br />
günstigere Aussichten für Bevorzugte einrichten darf, wenn das den weniger Begünstigten zum Vorteil gereicht“<br />
(vgl. Rawls 1979: 96).<br />
21