Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
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Theoretische Verortung der Untersuchung<br />
Folgenden insbesondere die Einwände aus Sicht der Rational Choice und Social Choice<br />
Theory im Vordergrund stehen wie auch die Kritik seitens der „Differenz-Demokratie“.<br />
Aus Sicht der Rational Choice Theory vernachlässigt das deliberative Modell grundsätzlich<br />
die Tatsache, dass politisches Handeln vor allem strategisches Handeln ist, d.h. die politischen<br />
AkteurInnen streben in erster Linie danach, ihre vorgegebenen Präferenzen zu maximieren.<br />
Im Gegensatz zum kommunikativen Aspekt der Politik, der von deliberativer<br />
Seite betont wird, scheint die Rational Choice Theory direkt die Essenz jeglicher Politik zu<br />
beschreiben – das Durchsetzen der eigenen Interessen im Kampf um politische Macht.<br />
Darin wird der deliberative Aspekt von politischen Prozessen zwar nicht gänzlich negiert<br />
aber als Schein-Legitimation von im Grund egoistischen Handlungen entlarvt. Wie sehr<br />
indes der Rational Choice Ansatz den täglichen Erfahrungen mit Politik und politischen<br />
AkteurInnen auch zu entsprechen scheint, so gründet er mit seinem Konzept des egoistischen<br />
Nutzenmaximierers doch auf einer fragwürdigen Grundannahme der menschlichen<br />
Natur. Denn damit die Theorie konsistent bleibt, muss sie voraussetzen, dass die Präferenzen<br />
der AkteurInnen erstens vorgegeben und zweitens gegenüber dem politischen Prozess<br />
invariant sind, d.h. dass sie sich in der politischen Auseinandersetzung nicht ändern. Beiden<br />
Annahmen unterliegt jedoch eine stark behaviouristische Position, die so weder in sich<br />
selbst plausibel wirkt, noch eine genaue Beschreibung der sozialen und politischen Realität<br />
wiederzugeben vermag. Demgegenüber vermag das deliberative Modell nicht nur die Genese<br />
von Präferenzen bzw. Präferenzstrukturen zu erklären, sondern auch diejenigen Interaktionselemente<br />
zu identifizieren, die einen Einfluss auf die Präferenztransformation ausüben<br />
(vgl. Goodin 2000; Habermas 1992).<br />
Die Social Choice Kritik am Modell der deliberativen Demokratie hingegen fokussiert u.a.<br />
genau auf diesen transformativen Charakter des deliberativen Prozesses. Im Gegensatz zur<br />
Rational Choice Theory hinterfragt die Social Choice Theory nicht so sehr die Relevanz<br />
deliberativer Elemente im politischen Prozess, sondern macht geltend, dass breit institutionalisierte<br />
deliberative Verfahren unter Umständen kontraproduktive Effekte erzielen können.<br />
Dies ist dann der Fall, wenn Deliberation nicht zu einem Konsens, sondern eher dazu<br />
führt, dass weitere und tiefere Differenzen zwischen den AkteurInnen zu Tage gefördert<br />
werden <strong>oder</strong> dass Deliberation in einem unlösbaren Präferenzzyklus mündet. Wenn auch<br />
solche Bedenken durchaus ihre Berechtigung haben, ist es doch grundsätzlich so, dass deliberative<br />
Verfahren eher dazu beitragen, unklare Präferenzordnungen zu entflechten, da<br />
sie es ermöglichen, die Ursachen aufzudecken, die hinter den Präferenzen stehen (vgl.<br />
Dryzek 2000). Natürlich können dadurch ebenso neue Optionen und Aspekte ins Spiel<br />
kommen, aber dadurch muss der politische Prozess nicht automatisch komplexer werden,<br />
noch stellt dies ein konstitutives Merkmal der deliberativen Idee dar. Und selbst wenn<br />
durch eine Diskussion neue Aspekte eines Sachverhaltes zu Tage gefördert werden, so ist<br />
dies kein künstlicher Eingriff von aussen. Vielmehr verhält es sich ja so, dass Deliberation<br />
dazu dienen kann, Konfliktlinien deutlich zu machen und Unstimmigkeiten zu artikulieren<br />
– und sie im Idealfall einem Konsens zuzuführen.<br />
Während die Social Choice Theory in ihrer Kritik vor allem auf die Durchführbarkeit deliberativer<br />
Verfahren bzw. deren unbeabsichtigten Konsequenzen abzielt, geht es „Differenz-Demokraten“<br />
wie etwa Sanders (1996) <strong>oder</strong> Laclau und Mouffe (1991) um den Begriff<br />
der kommunikativen Rationalität, auf dem die Deliberation fusst. Ihrer Meinung nach<br />
führt die rationale Form der Argumentation dazu, dass bestimmte Akteursgruppen durch<br />
das deliberative Verfahren bevorzugt und andere benachteiligt werden – in erster Linie die,<br />
mit einer geringeren Bildung. Trotz des Inklusivitätskriteriums werden sie von der Deliberation<br />
ausgeschlossen, da sie über weniger Fertigkeiten und Erfahrung in der Debattierkunst<br />
verfügen. Mehr noch aber als bestimmte Akteursgruppen schliesst die Deliberation<br />
auch all jene Sichtweisen und affektiven Komponenten gegenüber einem Sachverhalt aus,<br />
die sich nicht so ohne weiteres in die Form rationaler Argumentation übersetzen lassen.<br />
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