Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
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Kommunikativer Respekt <strong>oder</strong> wie höflich die AkteurInnen miteinander sprechen<br />
kum von den eigenen Ansichten zu überzeugen. Dennoch ist allen Beteiligten bewusst,<br />
dass das Rederecht – sobald es einmal vergeben ist – der sprechenden Person für eine gewisse<br />
Zeit zusteht. An dieser Regelung sind alle AkteurInnen interessiert: Denn würden sie<br />
sich ständig gegenseitig ins Wort fallen, dann könnte niemand von ihnen das Publikum von<br />
sich und der eignen politischen Ansicht überzeugen. Damit alle sachlich relevanten Punkte<br />
vorgebracht werden können, erfordert es eine gewisse Mindestredezeit, die allen Teilnehmenden<br />
eingeräumt werden muss. Da die Sendedauer begrenzt ist, die Gesprächsteilnehmenden<br />
aber möglichst oft und lange zu Wort kommen möchten, muss der Umfang der<br />
Redebeiträge begrenzt werden. Durchschnittlich haben die Teilnehmenden in den untersuchten<br />
Sendungen 22 Sekunden pro Redebeitrag Zeit, also nur eine beschränkte Spanne,<br />
um eigene Aussagen zu platzieren. In diesem Zusammenhang muss allerdings bedacht<br />
werden, dass die Redezeiten pro AkteurIn respektive pro Redebeitrag stark variieren können.<br />
Bspw. dauert der kürzeste Redebeitrag eines Teilnehmenden in einer Sendung von<br />
„Infrarouge“ eine Sekunde, der längste 2 Minuten 22 Sekunden. 163 Einem/r M<strong>oder</strong>atorIn<br />
steht in den untersuchten Sendungen durchschnittlich weniger Redezeit zur Verfügung; pro<br />
Redebeitrag benötigt er/sie gerade mal 11 Sekunden. Zuerst interessiert nun, ob es zu Verletzungen<br />
der oben genannten Grundregeln kommt.<br />
8.1.1 Sprecherwechsel durch respektverletzende Unterbrechung<br />
An dieser Stelle steht die Frage im Vordergrund, auf welche Art und Weise der Rollenwechsel<br />
erfolgt, also das Rederecht übergeben wird. Durch das Einhalten <strong>oder</strong> die Verletzung<br />
der Grundregeln eines Gesprächs ergeben sich verschiedene Formen, wie der Übergang<br />
von Sprecher A zu Sprecher B (Sprecherwechsel) vollzogen werden kann. Es gibt<br />
zwei Hauptformen des Rollenwechsels: Werden die Regeln eingehalten, gilt der Sprecherwechsel<br />
als glatt – sowohl die Person, die das Rederecht abtritt als auch jene, die es übernimmt,<br />
akzeptiert den Rollenwechsel (zumindest vordergründig). Werden die Regeln verletzt,<br />
so wird das Rederecht umstritten. Beide Fälle können spezifischere Formen aufweisen.<br />
164<br />
Unter einem glatten Sprecherwechsel werden alle Übergänge verstanden, die nicht durch<br />
eine Unterbrechung erfolgen. Es gibt verschiedene Arten des glatten Sprecherwechsels: (a)<br />
Zwischen dem Ende des letzten Redebeitrags und dem Beginn des neuen gibt es keine respektive<br />
nur eine sehr kurze Sprechpause. (b) Der letzte Gesprächsbeitrag und der neue<br />
Beitrag „überlappen“ sich. Dabei gibt es eine Phase simultanen Sprechens, d.h. die letzten<br />
Silben <strong>oder</strong> Worte des/r endenden SprecherIn werden gleichzeitig mit den ersten Worten<br />
des/r neu einsetzenden Sprechenden geäussert. In dieser Phase kommen beide Teilnehmenden<br />
gleichzeitig ihrer Rolle als SprecherIn nach. Hierbei handelt es sich allerdings<br />
nicht um eine Unterbrechung. Überlappungen werden von den Beteiligten meist nicht als<br />
störend wahrgenommen, da die davon betroffenen Äusserungen oft inhaltlich Redundantes<br />
betreffen und somit das Rederecht übergeben werden kann. (c) Innerhalb eines Redebeitrags<br />
gibt es so genannte „übergangsrelevante Orte“ wie bspw. am Ende eines Satzes, am<br />
Ende einer Argumentation, am Ende eines Gedankengangs. Sprecherwechsel an solchen<br />
übergangsrelevanten Orten gelten ebenfalls als „glatt“. Die zweite Form des Sprecherwechsels<br />
geschieht durch Unterbrechung, einer spezifischen Form der Selbstwahl. Dem/r<br />
unterbrochenen SprecherIn, also jener Person, der der Gesprächsschritt eigentlich zusteht,<br />
wird das Rederecht aberkannt. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum überlappenden<br />
Sprecherwechsel, da sich die aktuell sprechende Person bei der Unterbrechung noch nicht<br />
am Ende <strong>oder</strong> in der Endphase des eigenen Redebeitrags befindet. Deshalb kann er/sie einen<br />
wesentlichen Teil seines/ihres Beitrags nicht mehr realisieren, weshalb der eigentliche<br />
163 TSR1, „Infrarouge“, 31.08.2005.<br />
164 Folgende Ausführungen beruhen auf Henne, Rehbock 2001: 166ff, 184ff; Linke et al. 2004: 302ff; Fried-<br />
richs, Schwinges 2005: 112.<br />
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