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Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH

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Schlusswort und Ausblick<br />

sind aber dennoch für beide Seiten von Nutzen: Für die Peripherie stellen sie eine Möglichkeit<br />

dar, von zentrumsnahen AkteurInnen zu fordern, ihre Vorstellungen und Positionen<br />

auf die Praxis des Einzelfalls anzuwenden, wodurch sie an Legitimität gewinnen und<br />

die Konturen der einzelnen Meinungen schärfer hervortreten. Die politischen AkteurInnen<br />

des Zentrums und zentrumsnaher Organisationen hingegen können auf diese Weise die<br />

Überzeugungskraft ihrer Argumente prüfen. Das stellt indes auch ein Risiko dar, geht es in<br />

dieser Phase des politischen Prozesses doch nicht mehr nur darum, Impulse aus der Peripherie<br />

aufzunehmen, viel eher wird von den ZentrumsakteurInnen erwartet, dass ihre Positionen<br />

argumentativ weit genug gefestigt sind, um auch kritischen Einwänden adäquat begegnen<br />

zu können. Diese werden meist von der Peripherie als Publikum in dialogischen<br />

Formaten artikuliert, denn der Schlagabtausch der etablierten AkteurInnen ist eher dazu<br />

geeignet, die Unvereinbarkeit der unterschiedlichen Positionen hervortreten zu lassen und<br />

dient nicht so sehr dazu, lebensweltliche Aspekte in die Diskussion einzubringen. Wenn<br />

Ausführungen zur Lebenswelt überhaupt vorkommen, so sind sie meist in einem doppelten<br />

Sinn „repräsentativ“: Zum einen werden sie von politischen RepräsentantInnen im Namen<br />

von betroffenen gesellschaftlichen Gruppierungen geäussert, etwa wenn SP-PolitikerInnen<br />

im Namen von ArbeitnehmerInnen für bessere Arbeitsbedingungen argumentieren. Zum<br />

anderen sind solche Äusserungen aber auch repräsentativ in dem Sinn, dass sie Verallgemeinerungen<br />

darstellen. Während AkteurInnen der zivilgesellschaftlichen Peripherie genuin<br />

auf ihre eigene lebensweltlichen Erfahrungen verweisen können, sind AkteurInnen aus<br />

dem politisch-administrativen Zentrum eher dazu geneigt, generisch von dem Arbeitnehmer/der<br />

Arbeitnehmerin zu sprechen. Dessen ungeachtet sind es vor allem die VertreterInnen<br />

der etablierten Organisationen, der Parteien, Verbände, Verwaltung, usw., die als<br />

„HauptakteurInnen“ im Mittelpunkt des Diskurses stehen.<br />

Der Diskurs von Radio und Fernsehen ist wegen dieser Struktur bereits sehr stark rationalisiert<br />

– Empfindungen usw. haben darin keinen Platz bzw. keinen legitimen Status, wenn<br />

sie sich nicht diskursiv rechtfertigen lassen. 194 Für die RezipientInnen bieten Radio und<br />

Fernsehen innerhalb der dialogischen Formate ein breites Meinungsspektrum an ZentrumsakteurInnen,<br />

die als „verallgemeinerte Andere“ (vgl. Mead 2002) bzw. „deliberative<br />

RepräsentantInnen“ (vgl. Goodin 2000) einen Teil des argumentativen Inputs der „deliberation<br />

within“ ausmachen können.<br />

Online-Foren<br />

Die diskursive Struktur von Online-Foren ist demgegenüber nahezu ins Gegenteil verkehrt.<br />

Wie gezeigt wurde, nimmt hier die Peripherie eine zentrale Stellung ein, wodurch dem<br />

Internet im Verhältnis zu den traditionellen (elektronischen) Medien auf dieser Ebene eher<br />

eine „kompensatorische“ Diskursfunktion zukommt. Darüber hinaus erfüllen die untersuchten<br />

Debatten in den virtuellen Arenen aber auch andere wichtige Aufgaben für die<br />

individuelle Meinungs- und Willensbildung, etwa indem sie öffentliche diskursiv legitimierte<br />

Standpunkte mit oftmals nur schwach rationalisierten privaten Meinungen und<br />

Empfindungen in Verbindung bringen, wobei sich einzelne Foren in diesem Punkt stark<br />

unterscheiden. Als Folge davon, so legen es zumindest die Ergebnisse der vorliegenden<br />

Untersuchung nahe, sind Online-Foren im politisch-deliberativen Prozess anders zu verorten<br />

als die Forschung dies bisher getan hat.<br />

Ihrer institutionellen Stellung nach sind Online Foren ein Teil der hier untersuchten Massenmedien<br />

und kommen in Habermas’ Modell der Öffentlichkeit also als intermediäre Instanzen<br />

im politischen Prozess zwischen zivilgesellschaftlicher Peripherie und politischadministrativen<br />

Zentrum zu liegen. Ihr grosses deliberatives Potential scheint vor allem<br />

darin zu bestehen, dass sie allein aufgrund ihrer technischen Struktur anders als die klassi-<br />

194 Diese strukturellen Rahmenbedingungen haben u.a. auch zur Folge, dass die M<strong>oder</strong>ation zentrumsnahe<br />

AkteurInnen kaum auf ihre persönlichen Sichtweisen anspricht.<br />

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