Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
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Fazit: <strong>Stimmengewirr</strong> <strong>oder</strong> <strong>Dialog</strong>?<br />
unterschiedlichen Kommunikationssituationen vermögen die UserInnen in den Online-<br />
Foren das diskursive Potential nicht zu nutzen. Auch mangelt es dem Diskurs an Kontinuität,<br />
der Fluss der Posts zwischen den UserInnen ist nicht ausgeglichen: Unabhängig von<br />
der Qualität der Bezugnahme konnte festgestellt werden, dass auf einige Beiträge gar kein<br />
Bezug genommen wird, auf andere dagegen überdurchschnittlich oft. Die Interaktion entspricht<br />
zumeist einem many-to-one-flow, während in den klassischen Medien das Spiel der<br />
Rede und Gegenrede letztlich etwas intensiver geführt wird. Die durchschnittliche Anzahl<br />
Bezugnahmen auf eine Person liegt im Internet rund dreimal tiefer als im Radio und Fernsehen.<br />
Insgesamt kann festgehalten werden, dass die öffentliche Kommunikation in Radio<br />
und Fernsehen und im Internet nur in begrenztem Masse eine Kommunikation zwischen<br />
den Sprechenden darstellt.<br />
Auf der Ebene der Kommunikationsinhalte liefert das Mass an kritischer Auseinandersetzung<br />
mit den Aussagen Anderer einen weiteren Anhaltspunkt für die Diskurskultur und -<br />
qualität in den jeweiligen Mediengattungen. Begründete Kritik verweist auf eine reflektierte<br />
Auseinandersetzung mit anderen Meinungen, kann aber auf die Diskursqualität nur förderlich<br />
wirken, wenn sie nicht von einer Vielzahl Äusserungen überlagert wird, die einen<br />
konstruktiven Meinungsaustausch vereiteln, indem weniger die Plausibilität von Argumenten<br />
im Vordergrund steht, sondern vielmehr der Angriff auf die Integrität anderer GesprächsteilnehmerInnen.<br />
Waren die Ergebnisse bezüglich der Reziprozität des Diskurses –<br />
insbesondere auch mit Blick auf die argumentative Bezugnahme – im intermediären Vergleich<br />
einigermassen ausgeglichen, so verschieben sie sich hinsichtlich eben genannter<br />
Kriterien zugunsten der klassischen Medien. Insgesamt nehmen die Teilnehmenden zwar<br />
in beiden Mediengattungen eine ähnlich kritische Haltung ein, zumindest wenn die M<strong>oder</strong>ation<br />
ausgeklammert wird, da diese nicht ihre persönliche Meinung vertritt und andere<br />
AkteurInnen kaum kritisiert. Die GesprächsteilnehmerInnen in Radio und Fernsehen begründen<br />
ihre Kritik jedoch häufiger als jene in den Online-Foren. Durch die begründete<br />
Kritik werden die Argumente auf ihre Plausibilität hin geprüft, wobei die zugrunde liegenden<br />
Gedanken von den RezipientInnen nachvollzogen werden können. Ausserdem wird in<br />
den traditionellen elektronischen Medien weniger unbegründete Kritik geäussert als im<br />
Internet, das Gesprächsklima ist somit konstruktiver <strong>oder</strong> zumindest höflicher. Denn Andere<br />
zu kritisieren ohne dabei Gründe zu nennen, dient in erster Linie dazu, die Aussagen<br />
anderer Personen herabzusetzen, ein darüber hinausgehender Erkenntnisgewinn wird nicht<br />
erzielt. Für die politische Meinungs- und Willensbildung ist es zudem förderlich, auch jene<br />
Geltungsansprüche zu begründen, die nicht auf eine Kritik abzielen, sondern in denen<br />
vielmehr die eigene Position dargelegt wird. Auch hier kommt die Untersuchung zum<br />
Schluss, dass in Radio und Fernsehen mehr argumentiert und weniger behauptet wird als in<br />
den Online-Foren. Das für das Internet negativere Ergebnis kann insofern gemildert werden,<br />
als die UserInnen zumindest teilweise Aufgaben der Gesprächsführung übernehmen<br />
und somit Gesprächsschritte vollziehen, die nicht unbedingt einer Begründung bedürfen –<br />
dies gilt allerdings nur, wenn unbegründete Geltungsansprüche erhoben werden und nicht,<br />
wenn andere kritisiert werden. In den Online-Foren werden insgesamt mehr als die Hälfte<br />
aller Geltungsansprüche nicht begründet. Auf dieser Grundlage zu einer Präferenzordnung<br />
der Positionen zu gelangen, dürfte für die RezipientInnen nicht gerade einfach sein.<br />
Bezüglich der Frage, wie die Teilnehmenden in den beiden Mediengattungen kommunizieren,<br />
stellt sich also des Weiteren die Frage, wie respektvoll die Interaktion verläuft. Die<br />
Ergebnisse verweisen diesbezüglich auf eine höhere Diskursqualität bei den klassischen<br />
Medien: In rund einem Sechstel aller Geltungsansprüche werden in den Online-Foren despektierliche<br />
Äusserungen getätigt. Die Teilnehmenden im Internet äussern sich damit<br />
knapp dreimal häufiger beleidigend als die AkteurInnen in Radio und Fernsehen. Dies<br />
dürfte nicht zuletzt dem Umstand geschuldet sein, dass UserInnen ihre Identität in den Online-Foren<br />
äusserst selten zu erkennen geben. Des Weiteren handelt es sich hier um periphere<br />
AkteurInnen, die lediglich in ihrem eigenen – meist nicht bekannten – Namen han-<br />
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