Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
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Schlusswort und Ausblick<br />
schen Medien einschliesslich der Presse den peripheren AkteurInnen und ihren Anliegen<br />
einen grösseren Raum gewähren. Damit wirken sie dem vermeintlichen „Zerfall der Öffentlichkeit“<br />
(vgl. Habermas 1990) entgegen, indem sie das Ideal des räsonierenden Publikums<br />
der Kaffeehäuser des 18. Jahrhunderts in einen virtuellen Raum transferieren und<br />
dem entsprechen, was Dryzek „discursive designs“ genannt hat – ein möglichst durchlässiger<br />
öffentlicher Raum, in dem BürgerInnen debattieren und den Staat diskursiv konfrontieren<br />
können (vgl. Dryzek 1999). Und in der Tat belegen einige Beispiele, dass solche deliberativen<br />
Arenen eine politische Funktion erfüllen können, wenn sie stark genug im öffentlichen<br />
Diskurs verankert sind und unter Umständen von offizieller Seite her bewirtschaftet<br />
werden (vgl. Dahlberg 2001a, b). Indes gibt es auch genügend gegenteilige Diagnosen, die<br />
nicht nur die diskursive Qualität von Online-Debatten, sondern auch deren Wirkung auf<br />
die institutionelle Politik in Zweifel ziehen (vgl. Waldstein 2005; Rose, Saebo 2005; Borgida,<br />
Stark 2004). Auch die vorliegenden Studie ist weit davon entfernt das Bild einer verständigungsorientierten<br />
virtuellen Gemeinschaft zu zeichnen, die auf einen Konsens hin<br />
arbeitet. Vielmehr sind die Online-Debatten oft unzusammenhängend, die Bezugnahme auf<br />
andere TeilnehmerInnen erfolgt nur oberflächlich, die eigene Argumentation ist wie der<br />
Respekt dem anderen gegenüber eher mangelhaft. Zudem vermitteln die hier untersuchten<br />
Foren eher den Eindruck von geschlossenen Diskursgemeinschaften, deren Durchlässigkeit<br />
theoretisch zwar gegeben ist, in denen aber keine Durchdringung mit anderen Öffentlichkeiten<br />
feststellbar ist. Die Bilanz über den diskursiven und demokratischen Beitrag der<br />
„schönen neuen Medienwelt“ müsste also entsprechend nüchtern ausfallen. Wie im Folgenden<br />
indes zu sehen sein wird, sind solche Einschätzungen in der Regel das Resultat<br />
eines „blinden Flecks“ der Kommunikations- und insbesondere der Internetforschung.<br />
Wenn das Fazit hier also differenzierter und positiver ausfällt als anzunehmen wäre, so<br />
gründet dies vor allem in der Einsicht, dass Online-Foren zwar nicht gänzlich anders funktionieren<br />
als andere, etablierte Formen der Massenmedien, dass sie aber gerade aufgrund<br />
der hier vorliegenden empirischen Ergebnisse anders in den bestehenden theoretischen<br />
Modellen der politischen Öffentlichkeit zu verorten sind. Dadurch ergeben sich dann auch<br />
andere – gemässigtere und realistischere – Ansprüche an ihre Möglichkeiten im demokratischen<br />
Diskurs.<br />
Sieht man sich die Diskursqualität der Online-Foren in den Hauptkategorie an, so schneiden<br />
sie zwar nicht grundsätzlich schlechter ab als die klassischen Medien, zwei Aspekte<br />
sind aber besonders auffällig. Zum einen ist die Akteursstruktur so homogen wie in keinem<br />
anderen Medium – nahezu alle Teilnehmenden äussern sich als Privatpersonen der zivilgesellschaftlichen<br />
Peripherie. Zum anderen kommen zwar in Online-Foren mehr Themen als<br />
im Radio und in den Fernsehsendungen zur Sprache, was jedoch gleichzeitig Indiz dafür<br />
ist, dass Online-Debatten kaum den Sprung über die virtuelle Arena hinaus in die anderen<br />
Medien schaffen. 195 Wie in der Literatur beklagt und kritisiert, so bestätigt sich auch hier,<br />
dass der Austausch innerhalb von Online-Foren zwar durchaus rege sein mag, der Kommunikationsfluss<br />
mit den traditionellen elektronischen Medien aber sehr einseitig zuungunsten<br />
des Internets verläuft. Die TeilnehmerInnen in Online-Foren beziehen sich zwar<br />
auf die Diskussion in den anderen Medien und tragen so dazu bei, dass unterschiedliche<br />
Aspekte innerhalb des jeweiligen Forums zusammengetragen und im Rahmen einer kritischen<br />
Prüfung verarbeitet werden. Ebenso bieten sie die Möglichkeit, die eigenen Standpunkte,<br />
Befürchtungen, usw. zu artikulieren. Aber all dies führt letzten Endes nicht dazu,<br />
dass es zu einem „spill over“ Effekt von Online-Foren in die anderen Medien hinein<br />
kommt. Davon ist höchstens bei Foren auszugehen, die von Verlagshäusern betrieben und<br />
als Quelle für die Rubrik der LeserInnenbriefe in den Printmedien genutzt werden. Dies<br />
195 Eine Verlaufsanalyse der Themen und Argumente war nicht eigentlicher Gegenstand der Untersuchung,<br />
die Analysedimensionen die aber ersatzweise dafür herangezogen werden können machen klar, dass die<br />
Online-Foren in dieser Hinsicht so etwas wie eine „geschlossene Gesellschaft“ darstellen.<br />
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