Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
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Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />
Wie bereits festgestellt wurde, ist der Anteil der Redebeiträge ohne Bezugnahme bei der<br />
M<strong>oder</strong>ation knapp fünf Mal höher als bei den übrigen Gesprächsteilnehmenden. 125 Das<br />
hätte zur Annahme führen können, dass der Anteil an argumentativer Bezugnahme dementsprechend<br />
geringer sein würde. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Der/die Gesprächsleitende<br />
stellt in 22.0% eine argumentative Bezugnahme her, die TeilnehmerInnen lediglich<br />
in 17.4%. Dieses Ergebnis ist doch erstaunlich, da mit vielen Aufgaben der Gesprächsleitung<br />
eine oberflächliche Bezugnahme verbunden ist: Wortmeldungen sammeln, Denkimpulse<br />
geben, Fragen nach Information, subjektiver Einschätzung <strong>oder</strong> Positionierung sowie<br />
gesprächsorganisatorische Schritte. Trotzdem lässt dieses Resultat den Schluss zu, dass<br />
der/die M<strong>oder</strong>atorIn zu einem guten Teil ÜbermittlerIn und nicht GesprächsteilnehmerIn<br />
ist, da der Anteil an argumentativer Bezugnahme insgesamt lediglich bei gut einem Fünftel<br />
liegt, bei zwei Fünfteln der Sprecherwechsel ist die Bezugnahme oberflächlicher Art. Die<br />
Teilnehmenden dagegen beschränken sich in drei Viertel der Fälle auf eine oberflächliche,<br />
also rein sprachliche <strong>oder</strong> thematische Bezugnahme. Die wirkliche Auseinandersetzung<br />
mit den Argumenten der Anderen steht für die Teilnehmenden nicht im Vordergrund, sondern<br />
die Motivation, in erster Linie den eigenen Standpunkt, die eigene Meinung in den<br />
Raum zu stellen. Für die Bestimmung der Diskursqualität ist die echte Bezugnahme aber<br />
wichtig, da dadurch den RezipientInnen ein Abwägen und Bewerten der Argumente und<br />
Positionen ermöglicht wird.<br />
Da der Unterschied zwischen M<strong>oder</strong>ation und TeilnehmerInnen hinsichtlich der echten<br />
Bezugnahme sehr deutlich ist, drängt sich ein Vergleich zwischen den Teilnehmenden der<br />
Mediengattungen Radio bzw. Fernsehen und Internet auf. Die Gesprächsteilnehmenden in<br />
den klassischen Medien stellen in 17.4% eine argumentative Bezugnahme her, die UserInnen<br />
in den Diskussionsforen in 20.1%. Da sowohl der Anteil an Posts, in denen keine Bezugnahme<br />
als auch der Anteil derer, in denen eine argumentative Bezugnahme zu einem<br />
vorangegangenen Beitrag hergestellt wird im Internet höher ist als in den klassischen Medien,<br />
lässt darauf schliessen, dass die UserInnen Aufgaben der M<strong>oder</strong>ation übernehmen.<br />
Aufgrund der bisherigen Ergebnisse muss der Schluss gezogen werden, dass der Diskursverlauf<br />
in Online-Foren reziproker bzw. die Qualität höher ist als in Radio und Fernsehen.<br />
Klassisch: Sprachregionen / Ökonomische Stellung der Anbieter<br />
Auf der sprachregionalen Ebene und auf Ebene der ökonomischen Stellung der Sender sind<br />
keine nennenswerten Unterschiede hinsichtlich der Qualität der Bezugnahme feststellbar.<br />
In den Sendungen der öffentlichen Anbieter wird die argumentative Auseinandersetzung<br />
leicht stärker geführt als in denjenigen der privaten.<br />
Klassisch: <strong>Dialog</strong>format<br />
Es wurde bereits festgestellt, dass in Debatten häufiger eine oberflächliche Bezugnahme<br />
hergestellt wird als in Interviews. Der Anteil an argumentativer Bezugnahme ist nur unwesentlich<br />
höher (19.4% bzw. 18.9%). Allerdings konnte bereits im vorangehenden Subkapitel<br />
ein in den <strong>Dialog</strong>formaten unterschiedliches Gesprächsverhalten zwischen M<strong>oder</strong>ation<br />
und Teilnehmenden festgehalten werden.<br />
125 Vgl. Kapitel 6.2, S. 105ff.<br />
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