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Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH

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Einleitung<br />

1 Einleitung<br />

1.1 Öffentlichkeit und öffentliche Meinung<br />

In der Schweiz stimmen die Bürgerinnen und Bürger mehrmals im Jahr über eine substantielle<br />

Anzahl an Vorlagen auf eidgenössischer, kantonaler und Gemeindeebene ab. Bei<br />

einem stetig schrumpfenden Interesse und Zeitbudget der BürgerInnen, was politische Fragen<br />

anbelangt und einer gleichzeitig wachsenden Bedeutung und Komplexität der Gegenstände,<br />

stellt sich in den vergangenen Jahren immer wieder die Frage nach der Leistungsfähigkeit<br />

direktdemokratischer Verfahren in einer zunehmend globalisierten Welt. Wissen<br />

die BürgerInnen überhaupt genug, um über politische Vorlagen aufgrund gefestigter Meinungen<br />

abstimmen zu können? Haben sie ausser am Abstimmungssonntag noch eine<br />

Chance, sich aktiv in die politische Diskussion einzubringen? Bekommen sie genügend –<br />

und insbesondere genügend ausgewogene Informationen, um sich eine eigene Meinung<br />

bilden zu können? Dies sind mitunter die zentralen Fragen, wenn man Politik und (direkte)<br />

Demokratie aus Sicht der Meinungs- und Willensbildung betrachtet.<br />

Für die Medien als zentrale vermittelnde Instanz im politischen Prozess heisst dies in erster<br />

Linie, dass sie politische Information anbieten müssen, die zwar attraktiv ist aber gleichzeitig<br />

ihre meinungsbildende Funktion nicht einbüsst: Sie soll unterhaltend aber nicht oberflächlich<br />

sein, sie soll eine möglichst breite Schicht ansprechen, ohne sich am kleinsten<br />

gemeinsamen Nenner zu orientieren, und sie soll allen relevanten Positionen eine Vertretung<br />

geben, ohne im Gewirr der Stimmen unterzugehen. Nur wenn den Medien und den im<br />

medialen Diskurs beteiligten AkteurInnen dieser ständigen Balanceakt gelingt, wird öffentliche<br />

Meinung nicht einfach zu einer beliebigen „veröffentlichten Meinung“, sondern bildet<br />

sich erst bei den TeilnehmerInnen und RezipientInnen im Rahmen einer kritischargumentativen<br />

Auseinandersetzung.<br />

Der konkrete Prozess der Meinungsbildung, die daran beteiligten Institutionen und AkteurInnen<br />

und nicht zuletzt der Begriff der öffentlichen Meinung selbst sind dabei einem stetigen<br />

Wandel unterworfen, wie sich etwa anhand der (kulturkritischen) Diskussion im<br />

Rahmen der Einführung des Fernsehens <strong>oder</strong> jüngst des Internets zeigen lässt. So sieht<br />

etwa Jürgen Habermas in einer pessimistischen Einschätzung zu Beginn der 1960er Jahre<br />

die politische Öffentlichkeit weitgehend ihrer kritisch-aufklärerischen Funktionen beraubt,<br />

vom politischen Zentrum zu akklamatorischen Zwecken nur noch inszeniert – die öffentliche<br />

Meinung der Bürgerinnen und Bürger verkommt dabei zu reinen „attitudes“, d.h. nicht<br />

näher begründeten, beliebigen Neigungen (vgl. Habermas 1990).<br />

Solchen pessimistischen Einschätzungen ist indes entgegenzuhalten, dass soziale Bewegungen<br />

zu allen Zeiten immer wieder die Macht des politisch-administrativen Zentrums<br />

herausgefordert haben, dass zudem spätestens seit den späten 1960er Jahren die Öffentlichkeit<br />

durch neue soziale Bewegungen insgesamt „dynamischer“ geworden ist und mindestens<br />

teilweise eine „Revitalisierung“ stattgefunden hat. Und auch auf theoretischer<br />

Ebene mehrt sich die Einsicht, dass gerade die Annahme der manipulativen Intention der<br />

politischen AkteurInnen es notwendig macht, das Bild der passiven, subalternen BürgerInnen<br />

zu korrigieren. 1 Das macht sich nicht zuletzt auch in der sozialwissenschaftlichen Modellbildung<br />

bemerkbar – der/die BürgerIn als KonsumentIn wird immer mehr überlagert<br />

vom/von der BürgerIn als RezipientIn (vgl. Pfetsch 1998) und behaviouristische Annahmen<br />

über das Publikum werden nicht zuletzt durch die Cultural Studies dahingehend kor-<br />

1 Grössere Manipulationsleistungen seitens der RepräsentantInnen des politisch-administrativen Zentrums<br />

sind ja nur dann nötig, wenn der/die BürgerIn ein wachsendes kritisches Bewusstsein entwickelt <strong>oder</strong> zumindest<br />

die Möglichkeiten dazu hat.<br />

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