Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
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Schlusswort und Ausblick<br />
10 Schlusswort und Ausblick<br />
In diesen abschliessenden Erörterungen soll nochmals der Bogen von der Empirie zur Theorie<br />
geschlagen und insbesondere auf das Kreislaufmodell deliberativer Demokratie eingegangen<br />
werden. Im Vordergrund stehen dabei vor allem systematische Unterschiede zwischen<br />
den traditionellen elektronischen Medien Radio und Fernsehen einerseits und dem<br />
Internet bzw. den untersuchten Online-Foren andererseits. Hier wird besonders offensichtlich,<br />
dass Diskussionen in virtuellen Arenen durch ihre besondere Rahmenbedingung und<br />
konkrete Ausgestaltung Funktionen erfüllen können, die in der Kommunikationsstruktur<br />
der traditionellen Medien nicht institutionalisiert und verfügbar sind. Online-Foren können<br />
auf diese Weise den medialen Diskurs ergänzen, wenngleich dieser Vorteil nur dadurch<br />
zustande kommt, dass gleichzeitig bestimmte systematische Mängel im Diskurs in Kauf<br />
genommen werden. Insgesamt zeigen die Befunde auf, dass Online-Kommunikation, so<br />
wie sie im Rahmen des vorliegenden Projekts untersucht wurde, aus theoretischer Perspektive<br />
anders im politischen Kreislauf zu situieren ist als dies bisher der Fall war – nämlich<br />
auf der Output- anstatt an der Input-Seite – und folglich auch gegenüber den klassischen<br />
elektronischen Medien einen anderen Status einnimmt.<br />
Radio und Fernsehen<br />
<strong>Dialog</strong>ische Sendungen in Radio und Fernsehen sind Formate, in denen die Medien eher in<br />
der Funktion als Diskursvermittelnde auftreten denn als genuine Diskursteilnehmende.<br />
Dies vermag nicht zu erstaunen, fällt ihnen doch die Rolle zu, die unterschiedlichen Positionen<br />
der anderen AkteurInnen zu Wort kommen zu lassen und miteinander in Verbindung<br />
zu bringen und so das Gespräch eigentlich zu führen. Es bleibt wenig Raum, um eigene<br />
Vorstellungen in die Diskussion einzubringen – was zudem die unabhängige Stellung<br />
des/der M<strong>oder</strong>ators/in untergraben könnte. 193 Das von Medienseite empfundene Dilemma,<br />
dass man nicht gleichzeitig M<strong>oder</strong>atorIn und TeilnehmerIn sein kann, wird aber auch nicht<br />
etwa dadurch umgangen, dass andere MedienvertreterInnen als politische AkteurInnen in<br />
die Sendung eingeladen werden, in den untersuchten Sendungen war dies nur selten der<br />
Fall. Das Problem ist also nur teilweise darauf zurückzuführen, dass die Rollen von M<strong>oder</strong>atorIn<br />
und TeilnehmerIn unvereinbar sind, sondern hat insbesondere auch mit der (fehlenden)<br />
Selbstwahrnehmung der Medien im politischen Prozess zu tun. Diese nährt sich nach<br />
wie vor vom Ideal des – grösstenteils historisch unverbürgten – „fourth estate“ (vgl.<br />
Schultz 1998) und damit einer unabhängigen Position der kritischen Beobachtung. Mag<br />
dieser Aspekt in der Presse und allgemein in monologischen Angeboten der elektronischen<br />
Medien anders aussehen, in dialogischen Sendegefässen reduziert sich die Rolle der Medien<br />
stark auf diejenige des Diskursvermittelns. In dieser Rolle bringen sie dann aber auch<br />
konträre Sichtweisen ein, setzen sie widersprechende AkteurInnen zueinander in Beziehung<br />
und präsentieren so ein kontrastreiches Meinungsspektrum. Das trifft indes vorwiegend<br />
für etablierte, eher zentrumsnahe AkteurInnen zu, die Peripherie wird dagegen in der<br />
Regel nur fallweise in den Diskurs eingebunden. In dialogischen Formaten setzen die Medien<br />
nicht so sehr die Peripherie mit dem Zentrum in Verbindung, sondern in erster Linie<br />
zentrumsnahe Meinungen untereinander. Wenn periphere AkteurInnen zu Wort kommen,<br />
dann wie etwa in der „Arena“ entweder, um die Position eines/r etablierten Akteurs/in direkt<br />
zu hinterfragen <strong>oder</strong> sie mit der eigenen lebensweltlichen Erfahrung zu kontrastieren –<br />
die vorwiegend abstrakte politische Argumentation gewinnt so konkrete Bedeutung anhand<br />
des Einzelfalls. Solche einzelnen Beispiele haben zwar keinen repräsentativen Charakter,<br />
193 Davon ausgenommen sind natürlich all diejenigen Voten, in denen die Medien auf argumentativer Ebene<br />
die vorgebrachten Geltungsansprüche der anderen TeilnehmerInnen kritisch prüfen. Aber auch in diesem Fall<br />
bleiben sie meist in ihrer Rolle als Teilnehmende einer „Mandatarsfunktion“ verpflichtet (vgl. Habermas<br />
1992).<br />
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