Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Theoretische Verortung der Untersuchung<br />
tention des/der Sprechers/in zu rekonstruieren, um der Aussage Sinn zu verleihen. Wenn<br />
man diesen grundlegenden Aspekt der Kommunikation betont, dass jede/r HörerIn versucht,<br />
den/die SprecherIn kognitiv zu vergegenwärtigen bzw. seine/ihre Intention zu rekonstruieren,<br />
und diesen Aspekt insbesondere auf den/die RezipientIn bezieht, dann verlagert<br />
sich der Fokus des „deliberativen Dilemmas“. Es geht nun nicht mehr darum, allen<br />
AkteurInnen möglichst eine kommunikative Präsenz in der öffentlichen Diskussion zu gewähren,<br />
sondern darum, den/die RezipientIn in die Lage zu versetzen, eine „imaginative“<br />
Präsenz realer (aber auch fiktionaler) AkteurInnen herstellen zu können. Spätestens der<br />
Begriff der „imaginativen Präsenz“, die dadurch zustande kommt, dass der/die Einzelne<br />
reale und fiktionale AkteurInnen bzw. deren Positionen verinnerlicht und miteinander in<br />
Beziehung setzt, zeigt, wie stark Goodin an der Grundidee von Meads (vgl. Mead 2002)<br />
symbolischen Interaktionismus anknüpft. Dabei geht es aber nicht so sehr um kooperative<br />
<strong>oder</strong> kompetitive (Sprach-)Spiele, sondern im Idealfall um eine reflexive Auseinandersetzung<br />
der unterschiedlichen Positionen.<br />
Natürlich ist damit keineswegs garantiert, dass alle Stimmen eine „faire Vertretung“ haben,<br />
die innerhalb des Individuums miteinander im Widerstreit liegen. Im Gegenteil, oftmals<br />
wird es so sein, dass unliebsame Gesichtspunkte nur unzureichend ein inneres Gehör finden,<br />
verkürzt <strong>oder</strong> verzerrt wiedergegeben werden – „[n]o one can imagine someone else’s<br />
interests, position and perspective as richly as that person herself experiences them“<br />
(Goodin 2000: 103, Hervorhebung v. Verf.). Darum, betont Goodin, ist öffentliche Deliberation<br />
der rein privaten überlegen, weil sie anderen AkteurInnen die Chance einräumt, ihren<br />
eigenen Standpunkt darzulegen, Fehlinterpretationen zu korrigieren, usw. 23 „Deliberation<br />
within“ ist lediglich ein anderer Weg, das „deliberative Dilemma“ zu lösen, der zwar<br />
gegenüber den bisherigen Lösungen gewisse Nachteile aufweist, aber eben auch eigene<br />
Vorzüge hat: „[t]he proposal here is to let internal-reflective deliberations inform and<br />
supplement external-collective ones in large groups“ (Goodin 2000: 102, Hervorhebung v.<br />
Verf.). Mehr noch als das, komplettiert die Form der internen-reflexiven Deliberation das<br />
Habermas’sche Modell der politischen Öffentlichkeit als Prozess, indem sie neben der öffentlichen<br />
Debatte den (immer schon vorhandenen) privaten Charakter der Deliberation<br />
betont. Gerade aus der Perspektive des Habermas’schen Policy-Zyklus, der die Zivilgesellschaft<br />
mit dem politisch-administrativen Zentrum in Verbindung setzt, bildet die interne<br />
Deliberation dann nicht nur eine zusätzliche Ebene, die den ganzen Prozess über vorhanden<br />
ist, sondern auch gewissermassen den Anfangs- und Endpunkt eines vollständigen<br />
(idealen) Kreislaufs.<br />
Das vorliegende Projekt untersucht nun zwar in erster Linie den externen, öffentlichen<br />
Diskurs, bezieht dabei aber die interne, private Perspektive mit ein, insofern der öffentliche<br />
Austausch ja auch mindestens einen Teil der Grundlage der internen Deliberation ausmacht.<br />
Von Interesse ist aus dieser Perspektive dann insbesondere, wie dieser öffentliche<br />
Input strukturiert ist, d.h. welche AkteurInnen wie zu Wort kommen, wie sie sich darstellen,<br />
ob und wie sie sich zueinander in Beziehung zueinander setzen bzw. Gegenargumente<br />
aufnehmen, ihre eigenen Standpunkte begründen, usw. Mithin geht es also darum, anhand<br />
der idealen deliberativen Kriterien den realen Zustand der Debatte zu untersuchen, um so<br />
zu Aussagen über die Diskursqualität als einem konstitutiven Aspekt der Meinungs- und<br />
Willensbildung zu gelangen. Dabei steht die Bedeutung der grundlegenden Kontext-<br />
Bedingungen im Vordergrund, d.h. welchen Einfluss der Medientyp (hier v.a. Radio und<br />
Fernsehen gegenüber Internet), der Finanzierungsmodus der Medien (öffentlich gegenüber<br />
privat) wie auch sprachregionale Unterschiede (Deutschschweiz gegenüber Romandie) auf<br />
23 „In real conversation between real people there is a constant cross-checking and renegotiation of meaning<br />
[…] a code of dyadically shared meanings emerges” (Goodin 2000: 101, Hervorhebung v. Verf.).<br />
23