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Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH

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Theoretische Verortung der Untersuchung<br />

munikative Rationalität und die darin begründeten formalpragmatischen Universalien sind<br />

also die Voraussetzungen politischen Handelns und nicht etwa deren Anhängsel.<br />

Freilich fehlen in Cohen’s Modell wichtige interne Differenzierungen sowie die Antwort<br />

auf die Frage, wie das deliberative Verfahren gesamtgesellschaftlich institutionalisiert bzw.<br />

einzelne deliberative Arenen miteinander verknüpft werden müssen, damit sich politische<br />

Entscheidungen legitimieren lassen (vgl. Habermas 1992, s.u.). Diese Differenzierungen<br />

und Erweiterungen des deliberativen Verfahrens von einer individuellen Praxis auf einen<br />

die gesamte Gesellschaft durchdringenden Kommunikationskreislauf legt Jürgen Habermas<br />

1992 in „Faktizität und Geltung“ vor, worin diskurstheoretische Untersuchungen der<br />

Demokratie mit einer prozeduralen Konzeption von (politischer) Öffentlichkeit verknüpft<br />

werden (vgl. Habermas 1992). 10 In der Folge situiert Habermas deliberative Demokratie<br />

nicht nur wie Cohen als eine institutionelle Praxis, sondern als ein eigenständiges normatives<br />

Modell in der politischen Theorie, das zwischen Liberalismus einerseits und Republikanismus<br />

andererseits zu liegen kommt (Habermas 1996). Mit beiden Modellen teilt es<br />

gewisse Aspekte, grenzt sich von ihnen aber dezidiert auch da ab, wo Habermas Probleme<br />

mit der liberalen bzw. der republikanischen Konzeption von Politik ausmacht. 11 Damit<br />

wird das Modell deliberativer Demokratie aber nicht lediglich eine ideale Schnittmenge<br />

von Liberalismus und Republikanismus, sondern geht klar darüber hinaus, wie im Folgenden<br />

gezeigt werden soll.<br />

In einer idealtypischen Konzeption des Liberalismus übernimmt Politik die Vermittlung<br />

gebündelter privater Interessen gegenüber dem Staat, der seinerseits weitestgehend auf<br />

seine administrativen Funktionen beschränkt ist. Nach republikanischer Auffassung geht<br />

dieses Modell indes nicht weit genug, da Politik gleichbedeutend ist mit dem Vergesellschaftungsprozess<br />

im Ganzen. Der Republikanismus entwirft gegenüber dem liberalen<br />

Ideal demnach eine Kommunikationsgemeinschaft, die sich selber organisiert und in der<br />

die Politik die Rolle eines ethischen Selbstverständigungsprozesses einnimmt, der seinerseits<br />

von einem eingespielten Hintergrundkonsens und der Solidarität der Mitglieder der<br />

Gemeinschaft getragen wird. Meinungs- und Willensbildung konstituieren im Republikanismus<br />

das politische Gemeinwesen, im Liberalismus legitimieren sie lediglich die Ausübung<br />

politischer Macht. Neben der administrativen Macht des Staates und dem Eigeninteresse<br />

der Privatpersonen wird die Solidarität der Zivilgesellschaft so zur dritten Kraft gesellschaftlicher<br />

Integration. Mehr noch als im Liberalismus nimmt hier die politische Öffentlichkeit<br />

eine entscheidende Position ein.<br />

Obwohl Habermas die Kritik am Liberalismus in vielen Bereichen teilt, macht er auch<br />

Vorbehalte gegenüber der republikanischen Alternative geltend. Diese richten sich hauptsächlich<br />

gegen die idealistischen Grundannahmen des Republikanismus, der „den demokratischen<br />

Prozess von den Tugenden gemeinwohlorientierte Staatsbürger abhängig macht.<br />

[…] Politik besteht nicht nur, und nicht einmal in erster Linie, aus Fragen der ethischen<br />

Selbstverständigung“ (Habermas 1996: 283, Hervorhebung i.O.). Aus deliberativer Sicht<br />

stellen ethische Selbstverständigungsdiskurse lediglich einen Bereich der Politik dar, zu<br />

denen insbesondere moralische Gerechtigkeitsdiskurse wie auch pragmatische Verhandlungsdiskurse<br />

hinzutreten. Die Diskurstheorie der Demokratie knüpft zwar am republikanischen<br />

Modell an, indem auch unter deliberativen Aspekten den kollektiven Meinungs- und<br />

Willensbildungsprozessen das Hauptinteresse gilt. Nur werden diese nicht als der Aus-<br />

10 Alternative Konzeptionen stellen etwa Rawls „Political Liberalism“ dar, dann aber auch die als „Differenz-Demokratie“<br />

bezeichneten Modelle von Laclau und Mouffe (1991) <strong>oder</strong> Sanders (1996), wie auch das<br />

substantivistische Modell von Gutmann und Thompson (1996, 2004), die neben reinen Verfahrensnormen<br />

auch substantielle Aspekte in ihr Modell aufnehmen.<br />

11 Dabei stellt er klar, dass er seinen eigenen Ansatz zwei stark zugespitzten Formen des Liberalismus bzw.<br />

des Republikanismus gegenüber stellt, um die entscheidenden Unterschiede besser verdeutlichen zu können<br />

(vgl. Habermas 1996).<br />

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