Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
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Reziprozität <strong>oder</strong> ob die AkteurInnen wirklich miteinander sprechen<br />
zeichnet also „the degree to which a conversation is a real ‚discussion’, and present a first<br />
level of understanding“ (Janssen / Kies 2004: 12, Hervorhebung v. Verf.).<br />
Anhand der Reziprozität kann also bestimmt werden, inwiefern der Diskurs eine „echte“<br />
Diskussion darstellt, in der sich die Gesprächsteilnehmenden tatsächlich austauschen.<br />
Denn eine Äusserung kann auch getätigt werden, ohne dass sich der/die Sprechende auf<br />
andere Positionen <strong>oder</strong> Argumente bezieht. Seinen dialogischen Charakter erwirbt ein Diskurs<br />
aber erst durch eine Bezugnahme der AkteurInnen aufeinander. Die Beiträge der einzelnen<br />
GesprächspartnerInnen sollten sich – zumindest für eine kurze Zeit – thematisch<br />
aufeinander beziehen. Findet keine inhaltliche Bezugnahme auf einen vorgängigen Beitrag<br />
statt, ist der/die Sprechende nicht an einem Austausch von Meinungen interessiert, vielmehr<br />
geht es in erster Linie darum, die eigene Präferenzordnung kundzutun.<br />
Hier zeigt sich nun eine Schwierigkeit der gesprochenen Sprache bzw. der „spontanen<br />
Sprache“, die in der Regel weniger strukturiert ist als „geplante Sprache“ wie sie bspw. in<br />
Parlamentsreden zur Anwendung kommt. Spontane Sprache meint allerdings nicht, dass<br />
die Sprechenden unvorbereitet an den Diskussionssendungen und Interviews teilnehmen,<br />
sondern Spontaneität wird verstanden im Sinne nicht zuvor festgelegter Formulierungen.<br />
In der geplanten Sprache hat der/die Sprechende mehr Zeit, seine Aussagen argumentativ<br />
zu stützen. 121 Nichts desto trotz wird auch in der spontanen Sprache eine zumindest „oberflächliche“<br />
Bezugnahme oftmals hergestellt. Das ist bspw. der Fall, wenn auf eine Frage<br />
der M<strong>oder</strong>ation „geantwortet“, wenn mit Floskeln ein Bezug hergestellt wird <strong>oder</strong> auch<br />
nur, indem man sich zu einem zur Diskussion gestellten Thema äussert. Um diese qualitativen<br />
Unterschiede der Bezugnahme zu bestimmen ist eine relativ hohe interpretatorische<br />
Leistung nötig, da die Übergänge zwischen Bezugnahme, Teilbezugnahme und „Schein-<br />
Bezugnahme“ zuweilen fliessend sind. Aufgrund dieser Unschärfe generiert eine solche<br />
Unterscheidung potentiell eine hohe Fehlerquote. In der vorliegenden Untersuchung wurde<br />
daher die Bezugnahme zunächst weit gefasst, d.h. jedwede Art von Bezugnahme wurde als<br />
solche gewertet sowohl oberflächliche, also rein sprachliche und thematische als auch argumentative.<br />
Nun liegt für die Online-Foren die Vermutung nahe, dass die Sprache, da schriftlich, eher<br />
geplant ist als die gesprochene Sprache. Die UserInnen haben in der zeitversetzten Foren-<br />
Kommunikation mehr Zeit als die Beteiligten in Debatten und Interviews, die Argumente<br />
der Anderen aufzunehmen und darauf zu antworten. Dennoch wird hier die Annahme vertreten,<br />
dass der Diskursverlauf in Online-Foren gegenüber Radio und Fernsehen weniger<br />
reziprok ist. Einerseits wird vermutet, dass die Sprechenden im Internet weniger geübte<br />
„RednerInnen“ sind als diejenigen in den klassischen Medien. Andererseits ist die Foren-<br />
Kommunikation trotz ihres schriftlichen Mediums eher dem Charakter des mündlichen<br />
Gesprächs verpflichtet. 122 Differenziert man zwischen Text und Gespräch, so sind die Foren-Beiträge<br />
dem Gespräch sehr ähnlich, was sich u.a. in der Wortwahl und der Satzstruktur<br />
zeigt. Es kann also davon ausgegangen werden kann, dass in der Online-<br />
Kommunikation wie bei der spontanen Sprache generell, oberflächliche Bezugnahmen<br />
hergestellt werden. Da die Kommunikation aber weniger kontinuierlich ist als in den klassischen<br />
Medien (wechselnde TeilnehmerInnen), wird davon ausgegangen, dass die Werte<br />
bei den Online-Foren niedriger ausfallen.<br />
Eine Bezugnahme ist jeweils dann gegeben, wenn ein Thema aus einem vorangegangenen<br />
Redebeitrag bzw. Post thematisch aufgegriffen wird. Aus dem gegenwärtigen Beitrag muss<br />
klar hervorgehen, dass ein Bezug zu einer Aussage eines anderen Teilnehmenden gemacht<br />
wird. Ersichtlich ist dies (a) durch einen thematischen Bezug auf einen vorangehenden<br />
121 Zum Thema Mündlichkeit und Schriftlichkeit vgl. Schwitalla 2003.<br />
122 Storrer hat dies für die Kommunikationsform des Chattens aufgezeigt. Im Unterschied zur Foren-<br />
Kommunikation handelt es sich beim Chat jedoch um zeitgleiche, dialogische Kommunikation (vgl. Storrer<br />
2001).<br />
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