Stimmengewirr oder Dialog? - Bakom - CH
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Theoretische Verortung der Untersuchung<br />
signifikante Übereinstimmungen aufweist. Darüber hinaus können sie zeigen, dass der<br />
Terminus der „Diskursqualität“ etwas irreführend ist, indem er eine Homogenität<br />
suggeriert, die sich so empirisch nicht nachzuweisen lässt. Im Gegenteil, Steiner et al.<br />
weisen anhand ihres „Discourse Quality Index“ nach, dass politische Debatten ein<br />
vielschichtiges Phänomen darstellen, das hohe Werte in der einen Dimension aufweisen<br />
kann, während gleichzeitig nur niedrige Werte bezüglich einer anderen Dimension erreicht<br />
werden.<br />
Holzinger (2001) dagegen will auf empirischem Weg die theoretische Frage klären, ob<br />
Verhandeln und Argumentieren tatsächlich gegensätzliche Kommunikationsmodi sind, die<br />
in jeweils unterschiedlichen Kontexten vorkommen. Dazu untersucht sie eine Diskussion,<br />
die im Rahmen eines Mediationsverfahrens zur Klärung eines geeigneten<br />
Abfallwirtschaftskonzepts für den Kreis Neuss (Nordrheinwestfalen) stattfand. Holzinger<br />
geht der Frage nach, ob das Verfahren eher dem Typ der kompromissorientierten<br />
Verhandlung <strong>oder</strong> dem Typ der verständigungsorientierten Argumentation entspricht. Sie<br />
kommt zum Schluss, dass zwar mehr argumentiert als verhandelt wurde, dass sich die<br />
beiden Interaktionsmodi aber nicht voneinander trennen lassen und die Argumentation vor<br />
allem immer im Dienst der jeweiligen Gruppeninteressen stand. Problematisch bei diesem<br />
Ansatz ist mehrerlei. Zunächst handeln die Organisationen alle als InteressenvertreterInnen<br />
und versuchen, ihre Präferenzordnung in möglichst unveränderter Form durchzusetzen.<br />
Dass Argumentieren instrumentell an Verhandeln gebunden ist und sich die<br />
TeilnehmerInnen von den Standpunkten der Anderen kaum überzeugen lassen, ist daher<br />
nicht erstaunlich. Sodann ist die analytische Trennung zwischen Verhandeln und<br />
Argumentieren in dieser Form empirisch nicht umsetzbar. Das räumt Holzinger selber ein,<br />
etwa wenn sie zum Schluss sagt, „dass die Dichotomisierung von Verhandeln und<br />
Argumentieren als oppositionelle Kommunikationsmodi sich nicht halten lässt“ (2001:<br />
442). Das eigentliche Problem ist aber methodischer Natur und betrifft die Anwendung der<br />
Sprechakttheorie bzw. die Zuordnung der vorkommenden Illokutionen entweder zum<br />
Modus der Verhandlung <strong>oder</strong> zum Modus des Argumentierens. Die Zuordnung zur einen<br />
<strong>oder</strong> anderen Kategorie ist nicht durchwegs schlüssig, zweitens nicht trennscharf und<br />
unterstellt drittens dem/der SprecherIn ein semantisches Fingerspitzengefühl bezüglich der<br />
eigenen kommunikativen Intention, das so nicht zutreffen dürfte. Darin mögen denn auch<br />
die Gründe liegen, warum Holzinger keinen Interk<strong>oder</strong>reliabilitätskoeffizienten publiziert<br />
hat.<br />
VertreterInnen der politischen Psychologie wie Fishkin und Luskin (2005) <strong>oder</strong> Conover<br />
und Searing (2005) haben ihre Aufmerksamkeit weg von der institutionellen Politik und<br />
mehr auf alltägliche Argumentationsprozesse gerichtet. Das Forschungsinteresse gilt hier<br />
der Frage, wie „gewöhnliche“ Menschen deliberieren und welche Faktoren sich günstig auf<br />
die Qualität des Diskurses auswirken. Wie etwa Fishkin und Luskin mit ihren „television<br />
polls“ nachweisen konnten, sind „normale BürgerInnen“ durchaus in der Lage, komplexe<br />
Sachverhalte durchwegs auf einem hohen Niveau zu diskutieren, wenn sie über genügend<br />
Zeit und Informationen verfügen, so dass sich tatsächlich der „zwanglose Zwang des<br />
besseren Arguments“ durchsetzt. Problematisch an diesen und ähnlich gelagerten Studien<br />
ist indes, dass sie das deliberative Modell unter künstlichen – und im Fall von Fishkin und<br />
Luskin idealen – Bedingungen testen. Die Resultate dürfen daher kaum überraschen.<br />
Damit soll nicht der Wert dieser Studien geschmälert werden, sondern lediglich darauf<br />
hingewiesen werden, dass es nicht ausreicht, die Diskursqualität von AkteurInnen aus der<br />
Peripherie unter experimentellen Bedingungen zu untersuchen. Wünschenswert sind<br />
insbesondere ethnographische Studien, die Aufschluss über die Diskursqualität von<br />
peripheren AkteurInnen in alltäglichen peripheren Handlungskontexten zu geben<br />
vermögen.<br />
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