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PIANO MUSIC - Abeille Musique

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Darstellungen des Weinens, die wir aus der Literatur<br />

kennen. Auf den ersten Höhepunkt folgt eine kurze<br />

Monodie mit einem Text aus dem Lukasevangelium:<br />

„Weinet nicht über mich, sondern weinet über euch selbst<br />

und über eure Kinder“. Die abschließende öde Marschpassage<br />

deutet den letzten Teil des Weges nach Golgatha<br />

an. Die 9. Station, Jesus fällt zum dritten Mal, erhöht die<br />

vorangegangene Musik mit geringfgigen Änderungen um<br />

einen weiteren Halbton. Die 10. Station, Jesus wird seiner<br />

Gewänder beraubt, ist ein weiteres originelles Stück,<br />

dessen chromatische Harmonien seiner Zeit weit voraus<br />

sind. Liszts Anmerkung am Ende des Manuskripts<br />

(„Durch Mitleid wissend“) entstammt dem Libretto des<br />

damals noch unvollendeten Parsifal und weist möglicherweise<br />

auf Liszts Entdeckung der Tatsache hin, daß er seine<br />

vorausblickende musikalische Ausdrucksweise durch<br />

Mitleid gewonnener Erkenntnis verdankte. Es steht außer<br />

Frage, daß hier auf Wagners Musik angespielt wird. Die 11.<br />

Station, Jesus wird ans Kreuz genagelt, wiederholt ständig<br />

den Ausruf „Crucifige“, eine Phrase von absichtlicher<br />

Brutalität. Die 12. Station, Jesus stirbt am Kreuz, ist<br />

ein längeres Stück mit zwei Zitaten der letzten Worte<br />

Christi: „Eli, Eli lama Sabacthani?“ und „In manus tuas<br />

commendo spiritum meum“. Auch eine musikalische<br />

Meditation über das drei Noten lange Motiv nimmt eines<br />

der letzten Worte auf: „Consummatum est“. Dann endet<br />

das Stück mit einer erweiterten Vertonung des Chorals „O<br />

Traurigkeit, o Herzeleid!“, deren Harmonik zugleich<br />

schlicht und auf kühne Weise dissonant ist. Desolat ist<br />

die einzig angemessene Beschreibung der 13. Station,<br />

Jesus wird vom Kreuz genommen, in der Fragmente des<br />

Stabat mater und eine abgewandelte Version der 4.<br />

Station in Stille ausklingen. Die letzte Station, Jesus wird<br />

ins Grabgewölbe gelegt, besinnt sich auf die Hymne der<br />

Eingangsprozession und nimmt sie ab „Ave crux spes<br />

unica“ mit einer beruhigenden rhythmischen Begleitung<br />

10<br />

im -Takt auf, ehe die überaus zarte Coda nach der<br />

Melodie der 4. Station und dem „Kreuzmotiv“ aus drei<br />

Noten das Werk zum Abschluß bringt.<br />

Die Klavierfassungen von elf der zwölf Choräle, die<br />

zumindest aus den Katalogen (sie werden niemals aufgeführt)<br />

als Chorwerke besser bekannt sind, wurden<br />

ebenfalls 1980 zum ersten Mal in der Neuen Ausgabe<br />

sämtlicher Werke veröffentlicht. Sie sind offensichtlich zur<br />

privaten Darbietung gedacht und stellen die schlichtesten<br />

Klavierkompositionen dar, die je aus Liszts Feder geflossen<br />

sind. Wie so oft unter ähnlichen Umständen hat Liszt<br />

umfassende Angaben zum Fingersatz mitgeliefert! Im<br />

privaten Kreise darf die Musik soviele Male wiederholt<br />

werden, wie es die Strophen des Liedes erlauben. Hier<br />

wurden nur im 7. und 11. Stück strukturbedingte Wiederholungen<br />

der Choralmelodien ausgeführt. Auf den ersten<br />

Blick ist zu erkennen, daß die Musik des 6. und 8. Chorals<br />

mit den entsprechenden Sätzen in Via crucis identisch<br />

ist—und es ist nicht klar, welche Version als erste<br />

entstand. Allerdings scheinen die Introduktionen und<br />

Codas darauf hinzudeuten, daß zumindest die genannten<br />

Choräle Nachfolger des längeren Werks sind. Einige der<br />

Choräle sind lutherischer Herkunft, andere beruhen auf<br />

älteren einstimmigen Kirchenliedern. Für alle Interessierten<br />

gibt die Neue Liszt-Ausgabe einen ausführlichen<br />

Abriß der Quellen von Melodie und Text. Aus den Quellen<br />

läßt sich keine eindeutige Reihenfolge für die einzelnen<br />

Stücke entnehmen, darum listet die Ausgabe sämtlicher<br />

Werke sie alphabetisch auf. Die vorliegende Aufnahme<br />

übernimmt diese Reihenfolge. In Liszts Bearbeitungen<br />

finden sich zahlreiche Beispiele einer zutiefst persönlichen<br />

harmonischen Gestaltung—von denen manch ein<br />

Gesangbuch profitieren könnte!<br />

LESLIE HOWARD © 1990<br />

Übersetzung ANNE STEEB / BERND MÜLLER

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