Zukunftsfähige Bioenergie und nachhaltige Landnutzung
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260 10 Globale <strong>Bioenergie</strong>politik<br />
bezüglich der Unverzichtbarkeit <strong>und</strong> entsprechenden<br />
Schutzwürdigkeit eines bestimmten Umweltguts<br />
besteht. Von einem solchen Konsens ist insbesondere<br />
im Bezug auf den Klimaschutz <strong>und</strong> den Erhalt biologischer<br />
Vielfalt auszugehen, für die im Rahmen der<br />
jeweiligen Vertragsregime (Klimarahmenkonvention<br />
<strong>und</strong> Biodiversitätskonvention mit den jeweiligen<br />
Zusatzprotokollen) konkrete Schutzziele gelten.<br />
Diese Zielsetzungen werden durch die Anliegen<br />
des Art. XX Bst. b <strong>und</strong> g GATT erfasst; auch stehen<br />
sie gr<strong>und</strong>sätzlich mit der sog. Chapeau-Klausel von<br />
Art. XX GATT im Einklang, sofern sie in einer Weise<br />
angewandt werden, die zu keiner willkürlichen oder<br />
ungerechtfertigten Diskriminierung führt.<br />
Insgesamt ist somit davon auszugehen, dass unilaterale<br />
Maßnahmen, die über die Definition von<br />
produktionsbezogenen Anforderungen handelsbeschränkende<br />
Wirkungen entfalten, gerechtfertigt<br />
werden können <strong>und</strong> sich insofern mit den Vorgaben<br />
des WTO-Rechts vereinbaren lassen. Allerdings ist<br />
die bisherige Rechtsprechung der Streitbeilegungsorgane<br />
der WTO noch nicht hinreichend dogmatisch<br />
gefestigt <strong>und</strong> weist auch einige Schwankungen auf.<br />
Es lässt sich daher nicht mit Sicherheit voraussagen,<br />
wie die Entscheidung der zuständigen Streitbeilegungsorgane<br />
der WTO ausfallen würde, sollte es zu<br />
einer Anfechtung entsprechender unilateraler Maßnahmen<br />
durch einen Mitgliedsstaat kommen. Angesichts<br />
der vorhandenen Ungewissheit sollten somit<br />
umweltpolitische Maßnahmen zur Gewährleistung<br />
der <strong>nachhaltige</strong>n Produktion von <strong>Bioenergie</strong> nach<br />
Möglichkeit auf multilateraler Ebene entwickelt<br />
werden (Kap. 10.3.2.3)<br />
Ansätze zur Rechtfertigung sozialpolitisch<br />
motivierter Maßnahmen<br />
Gesonderte Fragen stellen sich in Bezug auf Maßnahmen,<br />
insbesondere Standards, die auf sozialpolitischen<br />
Motiven beruhen. Auch hier stehen die damit<br />
einhergehenden Handelsbeschränkungen in potenziellem<br />
Konflikt mit den bereits erwähnten Diskriminierungsverboten<br />
des WTO-Rechts, insbesondere<br />
dem Gebot der Inländergleichbehandlung <strong>und</strong><br />
dem Verbot mengenmäßiger Beschränkungen des<br />
Imports oder Exports.<br />
Unter den in Art. XX GATT genannten Ausnahmen<br />
sind keine ausdrücklichen sozialen oder anderweitige<br />
menschenrechtliche Schutzziele aufgeführt.<br />
Allerdings lässt sich auch in diesem Zusammenhang<br />
die Ansicht vertreten, entsprechende Rechtsgüter<br />
seien in den generalklauselartigen, weit formulierten<br />
Bestimmungen enthalten. In Frage kommt dabei<br />
eine Einstufung sozialpolitisch motivierten Vorgehens<br />
als Maßnahme zum Schutz der öffentlichen<br />
Sittlichkeit (Bst. a) sowie als Maßnahme zum Schutz<br />
des Lebens <strong>und</strong> der Ges<strong>und</strong>heit von Menschen (Bst.<br />
b). Es wird in der Literatur zudem auch die Meinung<br />
vertreten, die vorhin umrissene Argumentationsweise<br />
der WTO-Streitbeilegungsorgane zur Rechtfertigung<br />
umweltpolitischer Maßnahmen lasse sich –<br />
jedenfalls potenziell – auch auf sozialpolitische Ziele<br />
übertragen (López-Hurtado, 2002). Die Argumentation<br />
geht ferner dahin, dass gerade dann, wenn sozialpolitische<br />
Maßnahmen Prinzipien zur Durchsetzung<br />
verhelfen wollen, die in multilateralen internationalen<br />
Abkommen besonders stark verankert <strong>und</strong><br />
insofern von einem weit reichenden Konsens getragen<br />
sind, eine entsprechende Rechtfertigung möglich<br />
sein soll. Genannt werden dabei insbesondere die in<br />
den zentralen Abkommen der ILO statuierten Kernarbeitsnormen<br />
(etwa betreffend das Verbot der Kinderarbeit<br />
<strong>und</strong> der Zwangsarbeit).<br />
Über die bereits bezüglich umweltpolitischer<br />
Maßnahmen angeführten Ungewissheiten hinaus liegen<br />
hier besondere Schwierigkeiten vor. Im Rahmen<br />
der WTO wurde explizit darüber diskutiert, in den<br />
Ausnahmekatalog von Art. XX besondere Sozialstandards<br />
aufzunehmen. Bislang scheiterte dies aber<br />
am Widerstand der Mehrzahl der Entwicklungsländer,<br />
obwohl sich diese auf die allgemein anerkannten<br />
f<strong>und</strong>amentalen Sozialstandards gemäß den ILO-<br />
Kernbereichen beschränken sollten. Entsprechend<br />
ist es unsicher, ob eine Mehrheit der Vertragsstaaten<br />
einer Argumentation, die vorhandenen Ausnahmeklauseln<br />
gemäß Art. XX Bst. a <strong>und</strong> b GATT umfassten<br />
auch sozialpolitische <strong>und</strong> allgemeine menschenrechtliche<br />
Aspekte, zustimmen würde. Ob in einem<br />
möglichen Streitfall betreffend die WTO-Konformität<br />
von Sozialstandards für eingeführte Produkte ein<br />
Rekurs auf die Rechtfertigungsgründe des Art. XX<br />
GATT Erfolg haben würde, ist beim heutigen Stand<br />
der Dinge sehr fraglich.<br />
10.3.4.3<br />
Juristische Bewertung der vom WBGU<br />
empfohlenen Nachhaltigkeitsstandards<br />
Solange die WTO-Verträge – abgesehen von den<br />
erwähnten Ausnahmeklauseln – keine ausdrücklichen<br />
Zielvorgaben ökologischer <strong>und</strong> sozialer Richtung<br />
enthalten, ist die Frage der handelsrechtlichen<br />
Konformität nachhaltigkeitsorientierter Maßnahmen<br />
letztlich von der Einschätzung der Streitbeilegungsorgane<br />
der WTO abhängig. Bislang liegt insbesondere<br />
zur WTO-Konformität unilateraler Nachhaltigkeitsstandards<br />
keine entsprechende Praxis vor.<br />
Sollte die EU im Rahmen ihrer Rechtsetzung – wie es<br />
dem Vorschlag des WBGU entspricht – unilateral die<br />
Nutzung von <strong>Bioenergie</strong>trägern von der Einhaltung<br />
von Mindeststandards abhängig machen, so liegt es<br />
aber durchaus im Bereich des Möglichen, dass Dritt-