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Zukunftsfähige Bioenergie und nachhaltige Landnutzung

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Kasten 10.8-1<br />

Länderstudie Indien – Jatropha-Anbau als<br />

Entwicklungsmodell<br />

Seit einigen Jahren <strong>und</strong> mit weltweit wachsendem Interesse<br />

wird der Anbau der Jatropha-Pflanze zur Biokraftstoffproduktion<br />

vorangetrieben. Auch Indien fördert seit<br />

2003 verstärkt die Entwicklung von Biokraftstoffen auf der<br />

Basis von Jatropha. Ziel ist es, angesichts hoher <strong>und</strong> noch<br />

steigender Rohölimportquoten die Versorgungssicherheit<br />

zu erhöhen <strong>und</strong> die ländliche Entwicklung voranzutreiben.<br />

Als weitere Chancen werden die Fruchtbarmachung<br />

von degradiertem Land <strong>und</strong> der Klimaschutz genannt. Die<br />

Erwartungen wurden vom eigens gegründeten Ausschuss<br />

für Biodieselentwicklung 2003 sehr hoch gesteckt: Man ging<br />

davon aus, dass bis 2012 eine 20 %ige Beimischungsquote<br />

erreicht werden könnte. Dafür war der Anbau von Jatropha<br />

auf ca. 11,2 Mio. ha marginalen Flächen (wasteland) vorgesehen<br />

(Planning Commission, 2003). Darunter versteht<br />

man landwirtschaftlich nicht effektiv genutzte bzw. minderwertige<br />

oder degradierte Landflächen. In einer nationalen<br />

„Biodiesel Mission“ sollte die Produktion <strong>und</strong> Nutzung von<br />

Biodiesel getestet <strong>und</strong> entwickelt werden (TERI <strong>und</strong> GTZ,<br />

2005). Einige B<strong>und</strong>esstaaten, so z. B. Uttarakhand <strong>und</strong> Chattisgarh,<br />

legten ambitionierte Programme mit unterschiedlichen<br />

Förderinstrumenten vor, wodurch erste Anbauflächen<br />

<strong>und</strong> Raffineriekapazitäten geschaffen wurden. Mittlerweile<br />

hat die indische Regierung eine neue Biokraftstoffpolitik<br />

beschlossen. Bis 2017 sollen 20 % der Dieselnachfrage aus<br />

nachwachsenden Rohstoffen gedeckt werden (Economist,<br />

2008b).<br />

Trotz der großen Anstrengungen der letzten Jahre steckt<br />

die Entwicklung des indischen Biodieselsektors noch in den<br />

Anfängen. Hauptgr<strong>und</strong> ist, dass der Anbau von Jatropha<br />

bisher nicht rentabel ist. Die Früchte können erst nach 3–5<br />

Jahren geerntet werden <strong>und</strong> das Ertragspotenzial der Wildpflanze<br />

ist ohne zusätzliche Düngung <strong>und</strong> Wasserzufuhr<br />

sehr gering (Kap. 7.1). Die Subventionierung von fossilem<br />

Diesel erschwert die Rentabilität der Biodieselproduktion<br />

zusätzlich. Außerdem ist derzeit noch nicht absehbar,<br />

welche sozioökonomischen <strong>und</strong> ökologischen Folgen der<br />

Anbau mit sich bringt. Trotzdem lassen sich aus den bisherigen<br />

Erfahrungen einige Schlüsse ziehen:<br />

Nach Altenburg et al. (2008) hängt die Schaffung von<br />

Entwicklungschancen durch die Biodieselproduktion<br />

wesentlich von der Organisation der Wertschöpfungskette<br />

ab. In Indien wurden viele unterschiedliche Ketten identifiziert,<br />

die sich in drei Kategorien einteilen lassen: Ein<br />

von der Regierung organisierter Anbau auf Staatsland, ein<br />

kleinbäuerlicher Anbau sowie ein von Großunternehmen<br />

initiierter Anbau. Die Kategorien unterscheiden sich im<br />

Wesentlichen in der Zielsetzung, der Verteilung der Anbaurisiken<br />

<strong>und</strong> des <strong>Landnutzung</strong>srechts.<br />

Ziel des von der Regierung organisierten Modells ist die<br />

ländliche Entwicklung <strong>und</strong> die Nutzbarmachung degradierten<br />

Landes. Der Anbau verläuft auf staatlichem Land <strong>und</strong><br />

die Landarbeiter erhalten ein regelmäßiges Einkommen<br />

(collectors model). In einigen Fällen bestehen Kooperationen<br />

mit der Privatwirtschaft (PPP-Modelle). Der Staat trägt<br />

das Risiko, unabhängig von einem im Markt zu erwirtschafteten<br />

Gewinn. Dadurch entstehen zusätzliche Beschäftigungs-<br />

<strong>und</strong> Einkommenschancen. Durch die Einbindung<br />

der Gemeinden, den sog. Panchayats, in den Anbau <strong>und</strong> die<br />

Entscheidung darüber, welches Land genutzt werden kann,<br />

werden Risiken der Vertreibung <strong>und</strong> der Gefährdung des<br />

Nahrungsmittelanbaus reduziert. Die Organisation verläuft<br />

<strong>Bioenergie</strong> <strong>und</strong> Entwicklungszusammenarbeit 10.8<br />

meist im Rahmen staatlicher Förderprogramme, wie dem<br />

„Joint Forest Management“ Programm. Im B<strong>und</strong>esstaat<br />

Andhra Pradesh hat dieses Modell die weiteste Verbreitung<br />

gef<strong>und</strong>en. Aufgr<strong>und</strong> hoher staatlicher Eingriffe ist jedoch<br />

fraglich, ob es jemals in einen <strong>nachhaltige</strong>n wirtschaftlich<br />

eigenständigen Entwicklungspfad überführt werden<br />

könnte.<br />

Im zweiten Modell bewirtschaften mittelständische<br />

Bauern <strong>und</strong> Kleinbauern ihr eigenes Land. Da diese Landwirte<br />

auf unmittelbare Einkommensrückflüsse angewiesen<br />

sind, wird derzeit der Anbau nur zusätzlich zur eigentlichen<br />

Bewirtschaftung betrieben, z. B. in Form von Heckenpflanzung<br />

im Rahmen des Programms „Fences for Fuel“ in<br />

Rajastan. Dort nutzen die Landwirte das Pflanzenöl direkt<br />

für das Betreiben von Generatoren <strong>und</strong> Pumpen <strong>und</strong> tragen<br />

so zur lokalen Energieversorgung bei. In den meisten<br />

Fällen sind die Bauern jedoch in Abnahmeverträge mit<br />

Unternehmen eingeb<strong>und</strong>en. In Pilotprojekten im Staat<br />

Karnataka unterstützt der Staat die Gründung von Kooperativen.<br />

Zwar garantiert der Zusammenschluss der Bauern<br />

noch keinen Markt, aber die Produktionsrisiken werden<br />

erheblich abgeschwächt sowie die Selbstorganisation <strong>und</strong><br />

Selbstverantwortung der Kleinbauern unterstützt. Der<br />

Jatropha-Anbau kann so dazu beitragen, dass ungenutztes<br />

Land im Besitz von Kleinbauern wieder produktiv eingesetzt<br />

werden kann.<br />

Risiken ökologischer <strong>und</strong> sozialer Art werden vor allem<br />

im dritten Modell, dem von Unternehmen initiierten Anbau<br />

gesehen. Unternehmen setzen auf großflächigen Anbau <strong>und</strong><br />

Skaleneffekte. Durch ihr Kapital <strong>und</strong> Know-how können sie<br />

entsprechend Bewässerung <strong>und</strong> Nährstoffe bereitstellen.<br />

Das schafft zwar Potenzial für erheblichen Mehrertrag <strong>und</strong><br />

ländliche Einkommens- <strong>und</strong> Beschäftigungsmöglichkeiten,<br />

aber Monokulturen <strong>und</strong> die Verdrängung des Nahrungsmittelanbaus<br />

könnten die Folge sein. Aufgr<strong>und</strong> der derzeit<br />

zu erzielenden niedrigen Marktpreise für Energiepflanzen<br />

besteht diese Gefahr jedoch momentan nicht.<br />

Eine zentrale Rolle für die großflächige Produktion<br />

spielt der günstige Zugang zu Land. Unternehmen nutzen<br />

in erster Linie privates Land. Daneben stellen B<strong>und</strong>esstaaten<br />

wie Chattisgarh staatliche Pachtflächen auf marginalen<br />

Flächen zum Jatropha-Anbau zur Verfügung. Diese Flächen<br />

werden jedoch oft von Viehhirten als Weide benutzt <strong>und</strong><br />

es besteht die Gefahr, dass deren Nutzungsinteressen nicht<br />

berücksichtigt <strong>und</strong> Menschen vertrieben werden. In einzelnen<br />

indischen B<strong>und</strong>esstaaten zeichnen sich deshalb schon<br />

heute Konflikte um die Landfrage ab (Grain, 2008; Peoples<br />

Coalition, 2008; Kasten 6.7-2). Damit die Risiken der<br />

großflächigen Produktion vermieden werden können, ist<br />

entscheidend, dass lokale Entscheidungsprozesse über die<br />

Nutzung <strong>und</strong> Verpachtung von Flächen partizipativ verlaufen.<br />

Noch sind diese Voraussetzungen jedoch nicht überall<br />

in Indien gegeben (Altenburg et al., 2008).<br />

Zwar scheint das Entwicklungspotenzial der Biodiesel-<br />

<strong>und</strong> Pflanzenölproduktion in Indien trotz der teilweise<br />

ernüchternden Erkenntnisse hoch, aber Risiken des Ausbaus<br />

bestehen. Diese können jedoch durch die Wahl der<br />

Wertschöpfungsmodelle, die Zielsetzung der Regierung<br />

(lokale Energieversorgung versus Versorgung des nationalen<br />

bzw. globalen Markts) sowie geeignete partizipative<br />

Verfahren erheblich abgesenkt werden. Indien ist ein Vorreiter<br />

beim Anbau von Jatropha für die Biodieselproduktion.<br />

Die bisherigen Erfahrungen mit dem Anbau <strong>und</strong> der<br />

Produktion in unterschiedlichen Fördermodellen bieten<br />

eine Chance, die Risiken <strong>und</strong> Potenziale des Ölpflanzenanbaus<br />

zu erforschen <strong>und</strong> bewährte Modelle <strong>und</strong> Methoden<br />

auch für andere Länder zu entwickeln.<br />

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