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esser machen, dann seien die sozialen Probleme gelöst, die<br />
Sozialisten bzw. die Freidenker sagen, damit die Menschen besser<br />
werden können, müssen wir die sozialen Verhältnisse besser<br />
machen" (68).<br />
Neben den zahlreichen Vorträgen kam den "Kulturfeiern" der Freidenker<br />
eine besondere Rolle zu. In diesen "Kulturfeiern" wurde<br />
die enge Verbindung von Kultur und Politik, von Pathos und rationaler<br />
Argurnen tation deutlich, die für die gesamte sozialdemokratische<br />
Bewegung kennzeichnend ist. Am 20. NoveJTlber 1927 trafen<br />
sich zu einer solchen Feier im Bregenzer Forstersaal etwa<br />
230 Personen, unter ihnen wieder ein brav mitschreibender Kommissar<br />
der BH, dem wir einen Bericht verdanken (69).<br />
Am Beginn standen Musikstücke, danach las Anton Znayden eine<br />
"höchstwahrscheinlich eigene Dichtung". Es folgten zwei weitere<br />
Musikstücke. Darauf hielt Znayden eine Gedenkrede für die Opfer<br />
des 15. Juli 1927 in Wien. Er sprach über die Schattendorfer Morde,<br />
den Prozeß mit den ungerechtfertigten Freisprüchen, den Zorn<br />
der Arbeiter, die Demonstration, den Brand des Justizpalastes und<br />
das Schießen der Polizei:<br />
"Aber in der Republik des Bundeskanzlers Seipel habe man auf<br />
die Leute geschossen wie auf einer Hasenjagd . Frauen mit<br />
Kindern haben auf den Knien um Schonung gebeten. ... Der Unterschied<br />
zwischen Christentum und Sozialismus sei erst recht<br />
hervorgetreten beim Begräbnis dieser Opfer. Kein Auge sei<br />
trocken geblieben, wie die Kinder nach dem Vater riefen und<br />
alte weisshaarige Mütter um ihren Sohn weinten. Nur einem<br />
blieben die Augen trocken, das war der Bundeskanzler Seipel.<br />
(Rufe: 'Pfui, nieder mit ihm!)"<br />
Nach der zwanzigminütigen Rede folgte ein besinnliches Musikstück<br />
und dann, als Höhepunkt der Feier, ein von Znayden arrangiertes<br />
"Lebendes Bild". Znayden sprach dazu, vermutlich in gebundener<br />
Rede, um die Feierlichkeit zu betonen. Der Kommissar beschreibt:<br />
"Das Bild stellte eine schwarz ausgeschlagene Totenkammer dar,<br />
im Hintergrund war mit Kreide die Figur des Bundeskanzlers<br />
Seipel und oben mit grossen Buchstaben die Worte 'Keine Milde'<br />
gezeichnet. Im Vordergrund war ein Mensch aufgebahrt, daneben<br />
ein Schutzbündler als Wache. <strong>Zwischen</strong> der aufgebahrten<br />
Leiche und dem Hintergrund, wurden von mehreren Personen mit<br />
flehenden Gebärden die Hände emporgehoben, um darzustellen<br />
wie diese Menschen im Kerker schmachten und nach Freiheit<br />
verlangen. Hinter der Leiche waren auf je einer Seite eine<br />
Fackel angebracht. In dem von Znayden gesprochf;}nen Prolog<br />
wurden die Worte 'Keine Milde' immer besonders hervorgehoben ..<br />
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