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Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe

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188 Wesensbereich der Wahrheit - Wesen der Wissenschqft<br />

dehnten, sich bewegenden Seienden. Die mathematische Physik<br />

ist deswegen e<strong>in</strong>e echte Wissenschaft geworden, weil sie<br />

durch den Charakter des Mathematischen im voraus <strong>die</strong> Se<strong>in</strong>sverfassung<br />

dessen bestimmt, was zu e<strong>in</strong>em Naturd<strong>in</strong>g gehört.<br />

Der mathematische Charakter der Physik legt allen ihren experimentellen<br />

Untersuchungen e<strong>in</strong>en geklärten Begriff der<br />

Se<strong>in</strong>sverfassung des Seienden, das hier bearbeitet wird, nämlich<br />

der Natur zugrunde. Von hier aus verstehen wir den Satz Kants:<br />

Jede besondere Naturlehre ist nur soweit Wissenschaft), als sie<br />

Mathematik enthält. Das heißt: e<strong>in</strong>e Wissenschaft ist nur <strong>in</strong>soweit<br />

Wissenschaft, als es ihr gel<strong>in</strong>gt, <strong>die</strong> Wesensverfassung des<br />

Seienden, das sie zum Thema hat, vorgängig zu umgrenzen. Das<br />

ist der eigentlich mathematische Charakter der Physik.<br />

Wenn man den Satz Kants radikal versteht - nicht so, als<br />

müßten alle Wissenschaften sich <strong>die</strong> mathematische Methode<br />

zulegen -, dann besagt er: jede Wissenschaft muß darauf sehen,<br />

daß das Seiende, das sie zum Gegenstand macht, zuvor schon <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em Wesen h<strong>in</strong>reichend bestimmt ist, damit jede konkrete<br />

Frage e<strong>in</strong>en Leitfaden dafür hat, was <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Wissenschaft<br />

Gegenstand ist. So ergibt sich am Beispiel der mathelpatischen<br />

Physik, daß erst auf Grund des so verstandenen mathematischen<br />

Charakters etwas wie e<strong>in</strong> Experiment möglich ist. Denn<br />

Experiment ist nicht e<strong>in</strong>e beliebige Beobachtung irgende<strong>in</strong>es<br />

Vorgangs, sondern Herstellung e<strong>in</strong>es Natur-Vorgangs unter solchen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen, <strong>die</strong> mit Hilfe geeigneter Instrumente gemessen<br />

werden können. Das Wesentliche des Experiments ist<br />

nicht <strong>die</strong> Beobachtung, sondern <strong>die</strong> Interpretation des Beobachteten,<br />

dessen, was hier vor sich geht. E<strong>in</strong>e solche Auslegung setzt<br />

voraus, daß der Vorgang, den ich beobachte, schon im vorh<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

als Naturvorgang begriffen ist. Das gilt nicht nur für <strong>die</strong> physikalischen<br />

Experimente, sondern schon für jedes Instrument,<br />

das ich <strong>in</strong> der Physik verwende. Messung heißt Konstatierung<br />

von Ko<strong>in</strong>zidenzen. Nehmen wir z.B. <strong>die</strong> Uhr. Wir sehen täglich<br />

auf <strong>die</strong> Uhr und stellen <strong>die</strong> Zeit fest. Soll das Zusammenfallen,<br />

<strong>die</strong> Ko<strong>in</strong>zidenz der Stellung 'e<strong>in</strong>es Stäbchens mit e<strong>in</strong>em be-<br />

§ 26. Se<strong>in</strong>sverstandnis lm wissenschaftllchen Entwurf 189<br />

summten Strich auf dem Zifferblatt e<strong>in</strong> Messen der Zeit<br />

bedeuten? Dieses Messen der Zeit ist uns so selbstverständlich<br />

geworden, daß wir gar nicht merken, welche Welt von Voraussetzungen<br />

dar<strong>in</strong> liegt, wenn wir auf <strong>die</strong> Uhr sehen. Dieses<br />

Gebrauchen der Uhr ist nur dann e<strong>in</strong>e Zeitmessung, wenn ich<br />

dIeses D<strong>in</strong>g als Uhr nehme, d. h. orientiert auf <strong>die</strong> Zeitmessung,<br />

auf <strong>die</strong> Sonne. So ist e<strong>in</strong> Instrument, das der Messung <strong>die</strong>nt, nur<br />

zu gebrauchen, wenn dem Gebrauch desselben e<strong>in</strong> Verstehen<br />

von Natur zugrunde liegt.<br />

Was durch <strong>die</strong>se Erörterung deutlich gemacht werden soll, ist<br />

dIes, daß <strong>die</strong> Bestimmung des Seienden als Natur jeder konkreten<br />

Beobachtung vorausgeht. Ich kann <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge nur als Naturd<strong>in</strong>ge<br />

vergleichen, wenn ich im vorh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> schon weiß, was zu<br />

emem Naturd<strong>in</strong>g gehört. So zeigt sich, daß <strong>die</strong>ser Wandel der<br />

Bestimmung des Seienden sich offenbar vollzieht als e<strong>in</strong> Wandel<br />

der Bestimmung der Se<strong>in</strong>sverfassung des Seienden, e<strong>in</strong><br />

Wandel der Bestimmung dessen, was Seiendes ist und wie es ist.<br />

Reides zusammen bezeichnen wir als das Se<strong>in</strong> des Seienden. Im<br />

Gnterschied zu den Gebrauchsd<strong>in</strong>gen zeigt sich plötzlich e<strong>in</strong><br />

universaler Bereich von materiellen D<strong>in</strong>gen, genannt physische<br />

Natur. Dieser Umschlag beruht also auf e<strong>in</strong>em Wandel der Bestimmung<br />

des Se<strong>in</strong>s des Seienden, und zwar e<strong>in</strong>em Wandel der<br />

Bestimmung des Se<strong>in</strong>s, der jeder konkreten Erfahrung <strong>die</strong>ses<br />

Seienden, Natur, vorausgeht.<br />

Bislang sprachen wir immer von der Unverborgenheit des<br />

Seienden, daß wir uns zu Seiendem verhalten und daß das Seiende<br />

am Ende auch Gegenstand der Wissenschaft werden<br />

kanne. Jetzt plötzlich ist nicht vom Seienden <strong>die</strong> Rede, sondern<br />

vomlSe<strong>in</strong> desselben und davon, daß das Fassen und Bestimmen<br />

der Se<strong>in</strong>sverfassung des Seienden das letztere zugänglich mache<br />

für wissenschaftliche Erkenntnis. Weiter heißt es, daß <strong>die</strong>se<br />

neue Bestimmung der Se<strong>in</strong>sverfassung des Seienden der konkreten<br />

wissenschaftlichen Erforschung des Seienden voraufgmge.

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