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Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe

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272 Weltanschauung und Weltbegriff<br />

tane Rezeptivität, d.h. e<strong>in</strong> freies Sichselbstgeben; <strong>die</strong> re<strong>in</strong>e<br />

Anschauung nämlich gibt sich selbst <strong>die</strong> Zeit als re<strong>in</strong>e Sukzession<br />

frei. Wenn man sich <strong>die</strong>sen Zusammenhang phänomenologisch<br />

ause<strong>in</strong>anderlegt, so ergibt sich ohne weiteres, daß das<br />

Sichgeben des Jetzt, Soeben, Sogleich nur möglich ist, wenn<br />

<strong>die</strong>se re<strong>in</strong>e Anschauung e<strong>in</strong> freies Gestalten nach allen drei<br />

Grunddimensionen der Zeit ist. Für <strong>die</strong>se freie Gestaltung<br />

kommt alle<strong>in</strong> <strong>die</strong> transzendentale E<strong>in</strong>bildungskraft <strong>in</strong> Frage.<br />

E<strong>in</strong>e weiterdr<strong>in</strong>gende Interpretation muß zeigen, daß das,<br />

was Kant <strong>in</strong> der Ästhetik als re<strong>in</strong>e Anschauung entwickelt, im<br />

Grunde <strong>die</strong> transzendentale E<strong>in</strong>bildungskraft ist. Umgekehrt ist<br />

das re<strong>in</strong>e Denken zunächst charakterisiert als Spontaneität, aber<br />

als solche, <strong>die</strong> <strong>in</strong> der Weise des E<strong>in</strong>igens zugleich auf <strong>die</strong> leitende<br />

Idee von E<strong>in</strong>heit h<strong>in</strong>blicken muß. Im Denken als Spontaneität<br />

liegt notwendig e<strong>in</strong> Charakter von Rezeptivität im<br />

S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er apriorischen Rezeptivität. Nun ist der Zusammenhang<br />

des re<strong>in</strong>en Denkens mit der E<strong>in</strong>bildungskraft das Dunkelste<br />

bei Kant. Nur ganz weniges steht <strong>in</strong> der 1. Auflage<br />

darüber. Alles aber bleibt im Rohen und ist nicht als eigenes<br />

Problem gestellt: Wie kann man <strong>die</strong> Verwurzelung von re<strong>in</strong>er<br />

Anschauung und Denken <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>bildungskraft zeigen? Daraus<br />

ergibt sich <strong>die</strong> Konsequenz, <strong>die</strong> Jacobi gezogen hat. Zeit und<br />

Denken werden zurückgeführt auf <strong>die</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft, also ist<br />

<strong>die</strong> Zeit etwas E<strong>in</strong>gebildetes. Die Frage ist hier aber, was <strong>die</strong>se<br />

E<strong>in</strong>bildungskraft selbst sei, ob <strong>die</strong>se selbst etwas E<strong>in</strong>gebildetes<br />

ist oder ob wir sie nicht <strong>die</strong> Urwirklichkeit des Menschse<strong>in</strong>s<br />

nennen müssen.<br />

Diese Interpretation Kants bekommt erst ihren S<strong>in</strong>n und ihr<br />

Recht, wenn systematisch gezeigt ist, daß das, worauf Kant<br />

stößt, <strong>die</strong> Zeit selbst ist, freilich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em S<strong>in</strong>ne, wie er für Kant<br />

nicht mehr zugänglich war. Dieses Fungieren der transzendentalen<br />

E<strong>in</strong>bildungskraft ist also das, wodurch den Kategorien<br />

e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Anschauung verschafft wird. Sofern nun <strong>die</strong> re<strong>in</strong>e<br />

Anschauung Zeit <strong>die</strong> Bestimmung ist, <strong>die</strong> von vornhere<strong>in</strong> jeden<br />

Gegenstand der Erfahrung bestHnmt, ist mit der möglichen<br />

§ J4. Kants Weltbegriff 273<br />

Beziehbarkeit der re<strong>in</strong>en Verstandesbegriffe auf <strong>die</strong> Zeit <strong>die</strong><br />

Beziehbarkeit der Kategorien auf <strong>die</strong> Gegenstände selbst gewährleistet.<br />

So ,ergibt sich <strong>die</strong> eigentliche Frage der transzendentalen Deduktion:<br />

Wie können apriorische Begriffe des Verstandes objektive<br />

Realität haben, d.h. wie können sie zum Sachgehalt e<strong>in</strong>es<br />

Objekts apriori gehören? Dieser Schematismus muß von Kant<br />

jedenfalls so weit ause<strong>in</strong>andergelegt werden, daß er zu zeigen<br />

versucht, wie für jede Kategorie <strong>die</strong> Zeit <strong>in</strong> bestimmter H<strong>in</strong>sicht<br />

das 'Schema, d. h. <strong>die</strong> mögliche Darstellbarkeit ausmacht. Im<br />

Schematismus-Kapitel A 141, B 181 f. sagt er: »Dieser Schematlsmus<br />

unseres Verstandes, <strong>in</strong> Ansehung der Ersche<strong>in</strong>ungen und<br />

ihrer bloßen Form, ist e<strong>in</strong>e verborgene Kunst <strong>in</strong> den Tiefen der<br />

meIl'Schlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur<br />

schwerlich jemals abraten und sie unverdeckt vor Augen legen<br />

werden.«<br />

So kann man sprechen, wenn man wie Kant <strong>die</strong> Basis der<br />

Fragestellungen von vornhere<strong>in</strong> auf <strong>die</strong> Psychologie legt, was<br />

<strong>die</strong> Kritik der re<strong>in</strong>en Vernunft nicht weiter diskutiert. Sieht man<br />

aber das Problem e<strong>in</strong>er Grundlegung der Metaphysik wesentlich<br />

radikaler, dann ist <strong>die</strong> Frage, ob man <strong>die</strong> transzendentale<br />

E<strong>in</strong>bildungskraft lediglich als verborgene Kunst der Seele ansprechen<br />

darf oder ob sie nicht gerade das ist, mit Hilfe dessen<br />

wir den Begriff e<strong>in</strong>er Seele gew<strong>in</strong>nen. Im e<strong>in</strong>zelnen kann ich<br />

auf <strong>die</strong>ses Problem nicht e<strong>in</strong>gehen.<br />

4. Stufe. Unmittelbar an <strong>die</strong>se grundsätzliche Erörterung der<br />

lVIöglichkeit der synthetischen Erkenntnis apriori und ihres<br />

Grundes schließt Kant e<strong>in</strong>e systematische Darstellung <strong>die</strong>ser<br />

synthetischen Erkenntnisse apriori, d.h. der synthetischen<br />

Grundsätze des Verstandes an. Er gliedert <strong>die</strong>se Grundsätze am<br />

Leitfaden der Kategorientafel <strong>in</strong> 4 Klassen:<br />

1. Axiome der Anschauung<br />

2. Antizipationen der Wahrnehmung<br />

3. Analogien der Erfahrung<br />

4. Postulate des empirischen Denkens überhaupt.

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