Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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18 Was heißt Phllosophw?<br />
Entsprechend ist Wissenschaft e<strong>in</strong>e mangelhafte Angleichung<br />
an <strong>Philosophie</strong>, <strong>die</strong>se also <strong>die</strong> re<strong>in</strong>ste und erste Wissenschaft.<br />
Hier ist <strong>die</strong> Stelle der verhängnisvollsten Irrtümer, <strong>die</strong><br />
auch der genannte Vergleich unterstützen könnte. Denn <strong>die</strong><br />
<strong>Philosophie</strong> ist eben nicht Wissenschaft, auch nicht <strong>die</strong> re<strong>in</strong>ste<br />
und strengste; sie ist aber auch nicht etwa strengste Wissenschaft<br />
und noch etwas dazu und darüber h<strong>in</strong>aus. Wir können<br />
nur sagen: Was <strong>die</strong> Wissenschaft an ihrem Teil ist, das liegt <strong>in</strong><br />
der <strong>Philosophie</strong> <strong>in</strong> emem ursprünglichen S<strong>in</strong>ne. <strong>Philosophie</strong> ist<br />
zwar Ursprung der Wissenschaft, aber gerade deshalb nicht Wissenschaft,<br />
- auch nicht Ur-wissenschaft.<br />
Es gilt, gerade <strong>die</strong>sen Gedanken festzuhalten, weil ohne ihn<br />
immer wieder <strong>die</strong> Neigung sich vordrängt, <strong>Philosophie</strong> als Wis<br />
senschaft zu bestimmen, d. h. eben unversehens an e<strong>in</strong>e be<br />
stimmte Wissenschaft anzugleichen, z.B. an <strong>die</strong> Mathematik als<br />
<strong>die</strong> höchste und strengste Wissenschaft. Wann immer der<br />
Schritt <strong>in</strong> Richtung auf <strong>die</strong> Idee Wissenschaft getan WIrd, ist das<br />
Wesen verkannt. Man mag Wissenschaft noch so streng nehmen<br />
und h<strong>in</strong>terher Weltanschauung ankleben: beides <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Summierung<br />
und Verschmelzung trifft das Wesen der PhilosophiE'<br />
mcht.<br />
Wie schon mehrfach betont, ist es e<strong>in</strong>e charakteristische neu<br />
zeitliche Tendenz, <strong>die</strong> <strong>Philosophie</strong> im H<strong>in</strong>blick auf <strong>die</strong> Idee der<br />
Wissenschaft zu bestimmen, und zwar ist es <strong>die</strong> Mathematik -<br />
mathematisch freilich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sehr weiten S<strong>in</strong>ne genommen.<br />
Gerade <strong>die</strong> entgegengesetzte Absicht aber bemerken wir <strong>in</strong> dE'r<br />
antiken <strong>Philosophie</strong>, d.h. <strong>in</strong> den entscheidenden Anfängen unserer<br />
abendländischen <strong>Philosophie</strong> überhaupt, und das ist ke<strong>in</strong><br />
Zufall. In der Antike fällt <strong>Philosophie</strong> nicht unter <strong>die</strong> Wissenschaften,<br />
sondern umgekehrt: <strong>die</strong> Wissenschaften s<strong>in</strong>d bestimmt<br />
geartete »<strong>Philosophie</strong>n«.<br />
§ 6. Antike und neuzeitliche Auffassung von <strong>Philosophie</strong><br />
'-"I<br />
~e Griechen haben für CjlLAoaOCjlLu bezeichnenderweise e<strong>in</strong>en<br />
Plural: CjlLAoaOCjlLm. Mathematik und Mediz<strong>in</strong>, <strong>die</strong> <strong>in</strong> der Antike<br />
)Chon e<strong>in</strong>e hohe Blüte und Selbständigkeit hatten, wurden dempäß<br />
»<strong>Philosophie</strong>n« genannt. Ihnen gegenüber ist das, was<br />
\lrir e<strong>in</strong>fach <strong>Philosophie</strong> nennen, nach der Bezeichnung des Arittoteles<br />
JtQWTlj CjlLAoaOCjlLu, »erste <strong>Philosophie</strong>«, d. h. nicht <strong>in</strong>nerhalb<br />
der philosophischen Diszipl<strong>in</strong>en <strong>die</strong> erste, sondern Philo<br />
.,phie im ursprünglichen S<strong>in</strong>ne schlechth<strong>in</strong>. Man <strong>in</strong>terpretiert<br />
:<strong>die</strong>sen Ausdruck »prima philosophia« meist <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne, daß<br />
ilamit <strong>in</strong>nerhalb des Ganzen der philosophischen Diszipl<strong>in</strong>en<br />
<strong>die</strong> erste Diszipl<strong>in</strong> vor Ethik, Ästhetik U.S.W. bezeichnet wäre.<br />
Das ist e<strong>in</strong>e irrige Auffassung, und sie wird noch irriger, wenn<br />
'waan <strong>die</strong>sen Begriff der ersten <strong>Philosophie</strong> <strong>in</strong> moderner Weise<br />
"*n<strong>in</strong>terpretiert als erste Wissenschaft, als Urwissenschaft. Der<br />
,Urheber <strong>die</strong>ses fundamentalen Irrtums ist Descartes, der für<br />
M<strong>in</strong>e Grundlegung der <strong>Philosophie</strong> als Wissenschaft - nach<br />
"'em Ideal der Mathematik als der eigentlichen Wissenschaft<br />
,d.en antiken Begriff der JtQWtlj CjlLAOaOCjlLU <strong>in</strong> Anspruch nimmt<br />
und se<strong>in</strong> Hauptwerk ausdrücklich als »Meditationes de prima<br />
philosophia« I bezeichnet.<br />
Mit <strong>die</strong>ser Auffassung der ersten <strong>Philosophie</strong> versucht Des<br />
'lartes <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em zweiten Hauptwerk, den »Pr<strong>in</strong>cipia philoso<br />
,)hiae«2, den Gesamtbestand der überlieferten <strong>Philosophie</strong>, also<br />
~ Scholastik, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er neuen Form zu systematisieren. Daher<br />
*ommt es, daß seither mit der traditionellen Metaphysik <strong>die</strong><br />
""-gentümliche Idee der ersten <strong>Philosophie</strong> als Grundwissenschaft<br />
vere<strong>in</strong>igt ist.<br />
'. Kants letztes und freilich verborgenes Bemühen geht um<br />
e<strong>in</strong>e Aufhebung <strong>die</strong>ses ganzen Zusammenhangs. Se<strong>in</strong>e Absicht<br />
I Rene Descartes, MedItatlOnes de pnma philosophla. Pans 1641,2 Ausg<br />
Amsterdam 1642.<br />
2 Rene Descartes, PnnCIpla philosophiae. Amsterdam 1644.