Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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370 Das Problem der Weltanschauung<br />
auf <strong>die</strong>se Weise ihrem Handwerk noch e<strong>in</strong>e Bedeutung verschaffen<br />
wollen, nun der Klei~kram zu groß geworden"ist.<br />
Wenn wir früher sagten, wissenschaftliche Erkenntnis ist positive<br />
Erkenntnis umwillen der Wahrheit, des In-der-Wahi-heitse<strong>in</strong>s,<br />
so wird jetzt deutlich: In-der-Wahrheit-se<strong>in</strong> gehört zum<br />
In-der-Welt-se<strong>in</strong>, ist daher notwendig je durch Weltanschauung<br />
bestimmt, und zwar durch Haltung; nur <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser ist Wissenschaft<br />
möglich.<br />
Das mythische Dase<strong>in</strong> hat und kennt nicht dergleichen wie<br />
Wissenschaft, nicht weil <strong>die</strong> Menschen <strong>die</strong>ses Dase<strong>in</strong>s hierfür zu<br />
unbeholfen oder gar zu dumm wären, sondern weil Wissenschaft<br />
überhaupt <strong>in</strong> solchem Dase<strong>in</strong> wesensmäßig ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n<br />
hat. Es ist deshalb e<strong>in</strong>er der größten methodischen Irrtümer, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> bisherige Interpretation mythischen Dase<strong>in</strong>s durchherrscht<br />
- so <strong>die</strong> französische Soziologen- und Ethnologenschule -, daß<br />
man das mythische Denken <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>em S<strong>in</strong>n als Vorform<br />
des europäisch-neuzeitlichen wissenschaftlichen Denkens, und<br />
zwar der Naturwissenschaft, ansieht und von <strong>die</strong>sem Leitfaden<br />
aus <strong>in</strong>terpretiert. Aber auch Cassirer ist über <strong>die</strong>sen grundsätzlichen<br />
Irrtum nicht Herr geworden.<br />
b) Weltanschauung als Haltung und der Wandel<br />
der Wahrheit als solcher<br />
Mit der Ausbildung der Weltanschauung als Haltung ist wesensnotwendig<br />
e<strong>in</strong> Wandel der Wahrheit als solcher mitgeschehen.<br />
Daß es dann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Bezirken andere Wahrheiten<br />
gibt, <strong>die</strong> mit denen des Mythos nicht zusammengebracht werden<br />
können, ist nur e<strong>in</strong>e Folge, aber nicht der Grund des<br />
wesentlichen Wandels der Wahrheit selbst. Alles Offenbarmachen<br />
ist jetzt primär e<strong>in</strong>e regelnde und Herrschaft suchende<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem Seienden. .<br />
Das betrifft aber nicht etwa nur den Wandel der Wahrheit der<br />
Wissenschaft. Auch <strong>die</strong> Kunst löst sich ab von ihrer spezifisch<br />
mythischen oder religiösen Funktion, und <strong>die</strong> Religion bekommt<br />
§ 42. Weltanschauung als Haltung 371<br />
e<strong>in</strong>en wesentlich anderen Charakter: zum erstenmal bildet sich<br />
e<strong>in</strong>e Theologie aus. Was jetzt Theologie ist, ist im mythischen<br />
Dase<strong>in</strong>, was man Theogonie nennen kann~e<strong>in</strong> objektiver Prozeß<br />
der Gottwerdung selbst, <strong>in</strong>nerhalb deren der Priester steht. Dieser<br />
ist nicht nur Funktionär e<strong>in</strong>er Heilsanstalt.<br />
Mit <strong>die</strong>ser Wandlung der verschiedenen Gebiete des Seienden<br />
wandelt sich <strong>die</strong> Wahrheit im e<strong>in</strong>zelnen, und jetzt erst<br />
entsteht e<strong>in</strong>e Technik im eigentlichen S<strong>in</strong>ne, und e<strong>in</strong>e neue<br />
Gliederung und Ordnung der Gesellschaft. Aber der Wandel der<br />
Wahrheit ist nicht etwa e<strong>in</strong>e Folge des Wandels der gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse. Das ist e<strong>in</strong> tiefgehender Irrtum, sei er im<br />
S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es groben Marxismus oder e<strong>in</strong>er modernen Kultursoziologie.<br />
In all dem zeigt sich nur, daß <strong>die</strong> Transzendenz allen<br />
wesentlichen Grundmöglichkeken des Dase<strong>in</strong>s zugrunde liegt<br />
und daß der Wandel der Wahrheit bestimmte neue Möglichkeiten<br />
und e<strong>in</strong>en Wandel der Existenzformen vorzeichnet.<br />
Die mit der Weltanschauung als Haltung entspr<strong>in</strong>gende Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
mit dem Seienden (Wandel des In-der-Weltse<strong>in</strong>s)<br />
betrifft immer das Ganze der Streuung des Dase<strong>in</strong>s, also<br />
auch <strong>die</strong> Weise, wie das Dase<strong>in</strong>'e8 selbst ist und eigen~ sich zu<br />
sich selbst verhält. »Seele« und >~Geist« als Indices für das Selbst<br />
werden jetzt nicht mehr erfahren <strong>in</strong>· der Ungeborgenheit, Bergung,<br />
<strong>in</strong>nerhalb der Übermächtigkeit des Seienden, sondern das<br />
Seiende, das Dase<strong>in</strong> selbst ist ebenso-<strong>in</strong> der Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
begriffen, ergriffen. In der Ause<strong>in</strong>andersetzung des Dase<strong>in</strong>s mit<br />
dem Seienden im Ganzen, im Offenbarwerden <strong>die</strong>ses Seienden<br />
an ihm löst sich zugleich das Dase<strong>in</strong> - vordem aufgefunden im<br />
Seienden und benommen von <strong>die</strong>sem - aus <strong>die</strong>sem ab. Es wird<br />
selbst etwas Lenkbares, und zwar, wie sich zeigt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ausgezeichneten<br />
S<strong>in</strong>ne; es wird offenbar, daß das Dase<strong>in</strong> <strong>die</strong>ses<br />
Seiende selbst ist. Hiermit s<strong>in</strong>d ~<strong>die</strong> 'Möglichkeiten der Wahl<br />
se<strong>in</strong>er selbst im Entschluß zu sich selbst und dem entsprechenden<br />
Handeln gegeben.<br />
Es gibt <strong>in</strong> der antiken Auffassung und Auslegung des Dase<strong>in</strong>s<br />
e<strong>in</strong> Wort, das, wenn es recht verstanden wird, am ursprünglich-